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Tuermer - Roman

Tuermer - Roman

Titel: Tuermer - Roman
Autoren: Daniela Danz
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paar Sätze und gab seinem Freund eine Telefonnummer. Er klopfte ihm auf die Schulter, und die Umarmung der beiden dauerte um Sekunden länger als nötig, so als würden sie jeder wieder an seine Front zurückkehren, ohne zu wissen, wann sie einander wiedersehen würden.
Photos
    Wir fuhren zur Wohnung der Mutter, trugen das Bett hoch, und Zoran bereitete mir darauf in der Küche ein Lager für die Nacht. Er selbst wollte auf der Couch im Wohnzimmer schlafen. Ich fragte nicht, warum wir das Schlafzimmer nicht benutzten. Zoran setzte sich auf meine Bettkante. Er sah mir das erste Mal an diesem Tag richtig in die Augen. Es hat sich so vieles verändert, sagte er. Ich bin erst fünf Jahre in Zürich, und ich verstehe meine Heimat schon nicht mehr. Meine Mutter ist seit Anfang des Sommers nicht mehr in ihrer Wohnung, sie wohnt bei der Familie meines jüngeren Bruders in Novi Sad. Sie konnte nicht mehr in dem großen Bett schlafen. Ich weiß nicht, warum es mit einemmal nicht mehr ging, sie hat, seit er weg ist, darin geschlafen. Siehst du, alle Photos, auf denen er zu sehen war, sind abgeschnitten. Tatsächlich fehlte auf einigen Photos, die in einer Ecke über dem Fernseher hingen, offensichtlich eine Person, von der noch eine Hand über der Schulter der Mutter lag oder deren Hemdknöpfe hinter dem wuscheligen Haar eines blonden Jungen zu sehen waren. Ein Bild am Meer. Ich stellte mir meinen Vater vor, wie er seine Hand auf die Schulter der Frau auf den Photos legte. Mein Vater mit zwei Jungen, die seine Gesichtszüge unter sich aufgeteilt hatten. Er war Bürgermeister von Topola, sagte Zoran. Es gab eine sehr bekannte, früher auch beliebte kroatische Familie hier, seit Generationen Buchhändler. Sie wohnten im schönsten Haus am Marktplatz, dort, wo jetzt eine Lücke ist, von dem Café aus sah man direkt darauf. Ich konnte mich nicht erinnern. Er hatte ein Verhältnis mit der Frau. Das ging viele Jahre, schon als ich noch in der Schule war. Dann kamen Anfang der 90er die Berichte über die paramilitärischen
Kroatischen Verteidigungskräfte
. Er las alles, was er in die Hände kriegen konnte und redete bei jeder Gelegenheit darüber. Anfangs noch erschüttert, so als wäre seine Welt, alles was er wußte und woran er glaubte, aus den Fugen. Er war Titoist von ganzem Herzen. Manchmal, wenn er sich unbeobachtet glaubte, stand er vor Titos Bild und rauchte mit ihm, es hing auf Augenhöhe in unserer Wohnung, was ihn um ein Haar in Schwierigkeiten gebracht hätte. Das Bild hing bis zum September ’92 da. Dann war es verschwunden. Er traf sich zu der Zeit mit den Leuten, die der Nationalismus hochgespült hatte. Er wollte die Stadt sauber haben. Das wäre nicht ungewöhnlich gewesen, wenn in Topola nicht so viele Intellektuelle gewohnt hätten, die die Stimmung beeinflußten. Die Leute kauften mit einemmal Bücher im Laden am Markt, die sie gar nicht lesen wollten, nur aus Solidarität. Topola hatte unter den wenigen, die vernünftig geblieben waren, den Ruf einer selbstbestimmten Stadt. Allerdings hieß das auch, daß die Macht nicht mehr bei der Verwaltung lag. Vielleicht war er dadurch in Zwänge geraten, vielleicht war etwas vorgefallen zwischen ihm und der Frau des Buchhändlers. Jedenfalls war sie eines Tages verschwunden. Niemand hat sie seitdem wieder gesehen. Ein paar Tage später waren die Scheiben des Buchladens zerschlagen. Es bildete sich eine Gruppe, die Tag und Nacht den Laden bewachte, eine Woche lang. Dann machte er der Sache ein Ende, das auch sein Ende als Bürgermeister war. Er ließ die Familie von ein paar Securityleuten aus dem Haus holen und, wie wir später erfuhren, über Umwege nach Zagreb bringen. Aber die Leute dachten Schlimmeres. Es war zu heiß für ihn hier, und er ging erst nach Belgrad, und ein paar Monate später reiste er in die Schweiz aus. Er wollte immer, daß ich nachkomme. Ich war sein Lieblingssohn. Aber ich wollte mit ihm nichts mehr zu tun haben. Trotzdem bin ich, als es klar wurde, daß sie Belgrad bombardieren, mit seiner Hilfe in die Schweiz gekommen. Mutter hat es mir nie vorgeworfen, aber mein Bruder hat jeden Kontakt abgebrochen. Zoran schwieg. Und jetzt, fragte ich, siehst du deinen Vater jetzt oft, wohnt er auch in Zürich. Nein. Es klang widerwillig, Zoran wollte dazu nichts sagen, und ich kannte ihn schon gut genug, um zu wissen, daß er auch nichts mehr sagen würde. Ich fragte trotzdem noch einmal nach: Nein heißt, er lebt nicht in Zürich oder du hast keinen Kontakt
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