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Tuermer - Roman

Tuermer - Roman

Titel: Tuermer - Roman
Autoren: Daniela Danz
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deine Reise gefunden? Vielleicht ja, weil ich vergessen habe, daß ich den Grund nicht weiß. Ich möchte so viel wissen. Ich möchte deine Geschichte wissen. Sie sah mich ernst an und setzte sich dann auf die Kante meines Bettes. Da, wo ich herkomme, sagte sie, gibt es ein Märchen, in dem ein junger Mann von einem Mädchen drei Geheimnisse erfährt und er muß jedes mit einem Versprechen bezahlen. Das erste Versprechen ist, daß er, wenn er einen roten Vogel mit einem goldenen Ring sieht, an sie denken muß. Versprochen, sagte ich und mußte lächeln, denn wenn ich je einen solchen Vogel sehen würde, würde ich bestimmt an Ianna denken. Also, woher kommst du? Aus Zadar an der dalmatinischen Küste. Das zweite Versprechen ist, fuhr sie fort, daß er sie wieder vergessen soll, wenn er einen Baum sieht, der Feigen und Zitronen trägt. Das verspreche ich dir auch, ich dachte flüchtig an den Feigenbaum unten im Hof, und du verrate mir das Geheimnis, ob du dann Kroatin bist? Nein, ich bin Serbin. Das dritte Versprechen, das er dem Mädchen geben muß, ist, daß er, wenn er Vogel und Baum gesehen hat, unter den Muscheln am Strand die finden muß, die das Ohr des Windes ist, um ihr drittes Geheimnis hineinzusagen. Ich sah Ianna genau an, vielleicht war es gar kein Märchen, vielleicht hatte sie es erfunden. Aber sie lächelte wie eine, die Märchen erzählt, und ich versprach, auch dieses Versprechen zu erfüllen, wenn sie mir erzähle, warum sie aus Zadar fortgegangen sei.
Kerzen
    Ianna fragte mich zuerst, ob ich etwas davon wüßte, wie es ’91 in Kroatien gewesen sei. Ich sagte, daß ich mich an Bilder von der Bombardierung Dubrovniks erinnere. Aber noch als ich das sagte, ahnte ich, daß ich gar nichts wußte, denn Ianna würde mir die Geschichte erzählen, warum sie als Serbin aus Zadar weggegangen sei oder habe weggehen müssen. Ich schämte mich, daß ich nie darauf gekommen war, daß es den Serben in Kroatien möglicherweise so ergangen war wie den Kroaten in Serbien, wie konnte es anders sein. Ich berichtigte mich und sagte, daß ich nicht weiß, wie es in Kroatien war. Ianna besah das Muster des Linoleums. Dann könnte ich dir wie Scheherazade an jedem Abend eine andere Geschichte erzählen, aber ich erzähle dir lieber davon, wie wir in einer Nacht gelernt haben, wie leicht Krieg beginnt. Und das war noch vor dem Krieg, das war am 2. Mai 1991. Für eine serbische Familie war es in Zadar schwer geworden. Viele sind weggezogen, aber wir konnten nicht, weil mein Vater sehr krank war. Er war Serbe, meine Mutter ist Halbkroatin. Er ist vor acht Jahren gestorben. Mutter wollte ihn nicht allein lassen. Viele Familien hatten die Frauen und Kinder zu Verwandten geschickt, und die Männer waren dageblieben. Wir wohnten zu viert mit meiner jüngeren Schwester in einer Nebenstraße des Bulevar, in der Nähe des Zentrums. Am Tag zuvor war in einem Vorort ein kroatischer Polizist erschossen worden, und am nächsten Tag zog eine Meute mit Schlagstöcken, Brechstangen und was sie sonst zur Hand hatten durch Zadar und zerstörte serbische Geschäfte und Wohnhäuser. Sie hatten offenbar die Adressen der Serben und schlugen alles kurz und klein. Was dann noch zu gebrauchen war, wurde geplündert, dann haben sie die Läden ausgebrannt. Das ist es aber nicht, was ich dir erzählen will, es ist nur die Vorgeschichte. Am Abend kam im Radio der Aufruf, daß man in jedes Fenster eine brennende Kerze stellen sollte zum Zeichen der Trauer um den erschossenen Polizisten. Du verstehst, was das heißt: wer eine brennende Kerze ins Fenster stellt, unterstützt auch diese Aktion gegen die Serben. Und es heißt, wer keine Kerze ins Fenster stellt, zeigt, daß er auf der anderen Seite steht. Wir standen ja sowieso auf der anderen Seite, wir waren ja eine Serbenfamilie. Ein paar meiner Freunde riefen mich an, die Nachricht hatte sich in Windeseile verbreitet, auch die, die sie nicht im Radio gehört hatten, wußten davon. Sie sagten, daß sie natürlich keine Kerze anzünden, das wäre ja, als würden sie aus der Reihe treten und die stehenlassen, die nicht wegkönnen. Ich freute mich, und wir lachten sogar darüber, wie diese Leute es anstellen wollten, daß eine ganze Stadt Kerzen in jedes Fenster stellt. So viele Kerzen gebe es ja in ganz Zadar nicht. So viele Kerzen gab es in Zadar offenbar auch nicht. Als ich gegen Abend noch etwas einkaufen ging, konnte ich doch nicht anders, als nach den Kerzen zu sehen. Sie waren ausverkauft. Jetzt
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