Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tuermer - Roman

Tuermer - Roman

Titel: Tuermer - Roman
Autoren: Daniela Danz
Vom Netzwerk:
wünscht mir eine gute Nacht.
Dinge
    Ich fahre aufs Land. Es wird mir heute kein Gedanke mehr gelingen. Ich stehe im Zimmer als einer, der gar nicht mehr da ist, der gar nicht zurückkehren kann. Das eigentlich Schlimme sind die Dinge. Sie werden hierbleiben und dasein, wenn ich weg bin. Aber wenn ich wiederkomme, werden sie mich mit allen unvorstellbaren Empfindungen wieder aufnehmen: mit Verwunderung, mit Schadenfreude, mit Gekränktsein. Und dann zu denken, daß all das nichts ist gegen die Gleichgültigkeit der Dinge, wenn ich nicht zurückkehre. Morgen fahre ich aufs Land.
Ostern
    Wohin führt mich diese Reise? Ich suche nichts. Warum Belgrad? Und warum erst jetzt, zwei Jahre nach den Luftangriffen? Ich hatte an jenem Ostern auf die Bilder im Fernsehen gestarrt, ohne zu ahnen, wie sie sich in mir festsetzen würden. Ich war bei meinen Eltern zu Hause wie an allen Familienfesten. Mutter versorgte uns mit Kuchen und Kaninchenbraten. Der Erklärungsnotstand, warum man an Ostern Kaninchen aß, hat sie nie davon abgebracht, an dieser Tradition festzuhalten. Und auch ein Kind, oder gerade ein Kind, gewöhnt sich an diese kleinen Grausamkeiten, die seiner Phantasie angetan werden. Es merkt schnell, daß es einfach seine Phantasie zügeln muß. Flüchtlinge an der Grenze, Flüchtlinge in Lagern, einzelne Gesichter. Als Erwachsener hat man ein größeres Talent dazu, Analogieschlüsse nur bis zu einem bestimmten Punkt zu verfolgen. Ein Hase spielte an Ostern nun mal eine Rolle, so soll er denn auch auf den Tisch. An den ersten Tagen waren es zumeist dieselben Bilder. Erst später merkte ich, daß besonders zwei dieser Gesichter mich die ganzen Ostertage begleitet hatten. Das eine war das eines Mannes, der eigentlich gutaussehend war, mit einem kantigen Gesicht, kräftigen Unterkiefermuskeln und eigentümlich geschwungenen Brauen, die ihm den Ausdruck gaben, als stünde er reglos in der Luft, um sich im nächsten Moment auf seine Beute herabzustürzen. Schlimm war, daß man sich sicher sein konnte, daß er tatsächlich ein schöner Mann war, nur sah er nicht schön aus. Er schaute in die Kamera mit einer Mischung aus Widerwillen dagegen, in seiner Lage gefilmt zu werden, und mit verbissenem Eifer, seine Geschichte der ganzen Welt durch den Ausdruck seines Gesichtes erzählen zu wollen. Das andere Gesicht war das einer unter ihrem Gepäck hervorsehenden Frau. Diese beiden Gesichter bildeten einen Chor, den kleinstmöglichen, der die Geschichte ihrer Verluste erzählte. Der sprach und sprach, ohne daß ich etwas verstand außer der rhythmischen Struktur und dem bestätigenden Gefühl der Synchronität. Sie bildeten den Hintergrund einer großen Gemeinschaft, vor dem sich die Einzelschicksale, deren ich keines kannte, abheben würden. Vielleicht war ich deshalb hierhergekommen, um zu hören, was der Chor, bestehend aus dieser Frau und diesem Mann, gesprochen hatte, welches die einzelnen Schicksale waren, die sich vor seinem Sprechen abhoben.
    Vater leistete mir vor dem Fernseher Gesellschaft – oder ich ihm. Wenn Mutter zum Essen rief, sprangen wir fast gleichzeitig auf, als hätten wir nur darauf gewartet, nicht mehr vor dem Fernseher sitzen zu müssen. Ich für mein Teil beeilte mich, weil ich jenen lapidaren Kommentaren entkommen wollte, die er nach dem Ausschalten des Fernsehers oft abgab. Sie bezogen sich zumeist auf unsere Regierung, waren aber unabhängig von amtierenden Personen. Man durfte auf diese Kommentare, wie wir alle bald herausgefunden hatten, nichts erwidern, sonst fiel er in ein Schweigen, das er vor dem Ende der Feiertage nicht brechen würde. Schenkte man seinen Kommentaren aber keine Beachtung, zog er kurz verächtlich die Augenbrauen hoch. Ich war mir sicher, daß er diesen Ausdruck gar nicht mehr bewußt gebrauchte, es wirkte eher wie ein Reflex. Nicht daß er sich sonst in politische Diskussionen einmischen würde, er hielt sich damit eher zurück als jeder andere, obwohl man ihm den politisch denkenden Menschen schon am Gesicht ansah. Auch mit mir vermied er es, über Politik zu reden. Ich glaube, der Grund lag darin, daß keines der anstehenden Probleme ihm so wesentlich erschien, daß man dafür ein bestehendes System hätte auflösen müssen, ohne jemals sein ganzes Potential ausgeschöpft zu haben. Es fiel mir deshalb auch schwer, über Nichtprivates mit ihm zu reden. Vielleicht war es meine Schuld, daß ich so wenig von ihm wußte, fiel mir jetzt ein. Denn in seinem Leben waren das Politische
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher