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Tuermer - Roman

Tuermer - Roman

Titel: Tuermer - Roman
Autoren: Daniela Danz
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schlangen ihre Arme um die Hälse der Karussellfiguren, um ihre Kinder und umeinander, sie liebten sich zwischen dem Abwasch und stritten sich eine Woche lang. Die Kinder weinten und die Kinder waren krank. Die Kinder wollten ein Eis, und sie waren samtig wie kleine Fellchen, wenn am Abend alle auf dem kleinen Sofa in der Küche saßen und Ianna ihnen Rosinen in den Mund steckte. Ich stand neben dem Karussell, ein wiederkehrendes Muster bunter zerfließender Linien. Ich machte den Kindern angst, weil ich sie unverwandt ansah: Mama, wer ist der Mann? Ianna lacht: Was stehen Sie denn da in der Tür wie angewurzelt? Warten Sie, ich hole Ihnen den Schlüssel. Danke, ich war in Gedanken, murmelte ich. Bleiben Sie sitzen, wollte ich sagen, aber sie war schon aufgestanden und ging zum Schlüsselbrett. Sie stricken? Ja, sagte sie, einen Pullover für meinen Sohn. Er heißt Aleksandar. Er ist fünf Jahre alt. Und? fragte ich, dann ist er jetzt bei seinem Vater, wenn Sie Spätdienst haben. Nein, er ist bei meiner Mutter, wir wohnen im gleichen Haus. Ich fragte nicht weiter, denn es war nicht wichtig, wo Aleksandars Vater war. Mit Ianna war das nicht wichtig. Wenn wir zusammen waren, waren wir beide einfach zwei Menschen in einer Stadt voller Menschen, an einem Punkt auf dem Zeitstrahl, oder vielmehr außerhalb der Zeit. Für mich zumindest war es so. Vielleicht war es für sie nur Dienst, aber ich glaube nicht daran, daß ein Mensch sich so in einem anderen täuschen kann.
Grenze
    Die Stadt riecht wie meine Kindheit. In den Läden und zwischen den hohen Häuserblocks am Stadtrand. Dieser Geruch ist weder schlecht noch gut, nur so, als würde man eine Ecke weiter eine Erinnerung zu fassen bekommen. Als könnte ich gleich dieses Land noch einmal betreten, in dem ich Kind war. Aber dann bin ich doch enttäuscht, weil ich nichts fassen kann, nur zusammenhanglose Schnipsel eines Lebens, das meines war. Die Strenge des Grenzers im Flughafen und die Irritation der Sicherheit, daß mir nichts passieren könne, nicht mit meinem Paß, der mich vor allem schützen würde. Doch was zählt mein Paß hier wirklich? Ich erinnere mich an Vaters belegte Stimme, wenn wir uns auf der Fahrt in den Urlaub der Grenze näherten. Einmal hatten sie Bücher bei ihm gefunden, wir mußten uns alle drei bis auf die Unterwäsche ausziehen. Er zitterte vor Wut und Ohnmacht oder vor Scham, ich weiß nicht. Aber schlimm war nicht die Situation und die Angst, was mit uns geschehen könnte, sondern Vaters Zittern.
Feigenbaum
    Ich beuge mich aus dem Fenster meines luftigen Zimmers. Ich könnte die Arme ausbreiten und im Gleitflug über die Stadt fliegen und weiter nach Südosten über die Schumadija. Ein Stück auf den unsichtbaren Straßen der Zugvögel entlang und wieder zurück in die weiße Stadt, so wie ich sie vom Flugzeug aus unter mir habe liegen sehen mit den zwei kräftigen Lebenslinien der Flüsse. Dann dicht über dem verdreckten Wasser der Donau, und im Steigflug hoch zur Festung, um mich auf einer der Haubitzen aus dem Großen Krieg niederzulassen und im Nationalgedächtnis neben den Statuen der Mutter Heimat, in den Liedern von der Bedrohung des Landes und der Macht der Liebe einer serbischen Königstochter, der Rabe zu sein, der die Botschaften von Hoffnung und Verrat über die Hügel trägt. Ich beuge mich aus dem Fenster und sehe die Lichter des Beogradjankahochhauses, von unserem Hang aus fast auf derselben Höhe. Unten im Hof steht ein Feigenbaum, vor dessen fünffingrigen Blättern ich jedesmal, wenn ich vorbeigehe, bewundernd stehenbleibe. Mir fällt eine Zeile von Hölderlin ein:
Am Feigenbaum ist mein Achilles mir gestorben
. Und ich glaube mich zu erinnern, daß er in einem Brief einen Feigenbaum im Hof des Konsuls Meyer erwähnte. Was auch immer geschehen ist in Bordeaux, ich weiß, er hat wie ich am Abend auf den Baum gesehen, unten im Hof. Diesen Baum mit den fünffingrigen Händen voll Süßigkeit. Im Leben meines Feigenbaumes ist mein Aufenthalt in dieser Stadt ein kleiner violetter Schatten auf den Früchten eines Jahrs. Und ich, ich lasse an diesem Feigenbaum den zurück, der ich war, bevor ich hierherkam.
Desokkupation
    Die Stadt läßt mich nicht herein. Einmal die Terazije rauf und auf der anderen Seite wieder runter. Ein Erlebnis abgewartet.
    Ja, es ist Stoff zum Leben da, genug. Aber heute bin ich zu kurz für den langen Tag. Ich warte auf die Abendglokken, aber sie wären hier ja doch nicht zu hören. Darauf, daß hinter den
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