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Tuermer - Roman

Tuermer - Roman

Titel: Tuermer - Roman
Autoren: Daniela Danz
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sein mußte. Daß es dort eine Akte geben müßte, worin stand, was wir am 1. Mai 1991 gemacht haben. Das war ein Feiertag, vielleicht war ich zu Hause. Ich war immer in Uniform nach Hause gefahren. Ich mochte die verstohlenen Blicke, ich wußte, daß sie mir stand. Was war das für ein Traum, ich konnte mich nur an die letzte Sequenz erinnern: Vater saß auf seinem Schreibtisch vor dem Fenster und rief mir zu, wir müssen uns gleichzeitig ducken, dann fiel sein Oberkörper nach vorn, und ich bin aufgewacht. War ihm etwas passiert? Ich könnte ihn anrufen jetzt. Wie spät war es in Deutschland, ach, genauso spät wie hier, ich war nur in Belgrad, nicht mal die Zeitzone hatte ich gewechselt.
Spazieren
    Als ich am nächsten Morgen ins Foyer kam, saß Ianna schon im kalten Licht der Rezeption und rechnete etwas. Sie lächelte mich an, in stillem Einvernehmen schwiegen wir über den Abend und die Nacht. Sie trug einen anderen Pullover, also mußte sie zu Hause gewesen sein. Ich wußte immer noch nicht, wo sie wohnte und wie weit sie dorthin fahren mußte. Mit dem Bus? Sicher mit dem Bus, denn sie hatte kein Auto. Sie sagte: Du reist übermorgen ab. Ja, antwortete ich, am Mittwoch morgen geht mein Flug. Wir schwiegen. Wollen wir heute abend noch einen Spaziergang machen, Michael? Ja, gern. Um acht hier? Gut, ich möchte dir gern noch etwas von meinem Belgrad zeigen. Ich freute mich, als hätte ich gerade das erste Rendezvous meines Lebens. Ich verbrachte den Tag komplett auf meinem Zimmer und las, sah aus dem Fenster und versuchte, die Bruchstücke, die meine Erinnerung auf dieser Reise hochgespült hatte, sinnvoll zueinander zu fügen. Aber es blieben nur Bruchstücke. Ich holte am Abend das letzte saubere Hemd aus dem Koffer, ich hatte das Gefühl, mich noch nie so sehr auf jemanden gefreut zu haben, wie auf Ianna an diesem Abend. Ianna trug noch immer den Pullover von heute morgen, aber sie hatte ihre Haare hochgesteckt. Der Abend war herrlich zum Spazierengehen. Ich war der glücklichste Mensch an ihrer Seite. Sie erzählte mir Geschichtchen über Straßennamen oder Häuser, an denen wir vorbeikamen. Es war ihre Art, Dinge zu erzählen, die weder lustig noch in anderer Hinsicht bemerkenswert waren. Ihre Geschichten endeten immer so unspektakulär, wie sie begonnen hatten. Eine von Iannas Geschichten ging zum Beispiel: Hier in diesem Haus hat im Erdgeschoss eine Frau mit fünf Kindern gelebt. Ich habe die Kinder immer vorm Haus auf der Straße mit einem kleinen Hund spielen sehen. Ich dachte, daß es doch schade ist, daß sie auf der Straße spielen müssen. Ich ging deshalb einmal abends um das Haus herum, um nachzusehen, ob es nicht wie die anderen einen kleinen Garten hatte. Es hatte einen Garten, sogar ein kleines Gartenhaus stand darin, und Wein wuchs an Gittern darüber wie in den anderen Gärten. Ianna schwieg, kein bedeutungsvolles, schweres Schweigen, sondern nur so, wie wenn man, nachdem man etwas zu Ende erzählt hat, sich wieder die Umgebung ansieht. Wir landeten schließlich in einer kleinen, abgelegenen Kneipe, der Wirt grüßte Ianna, sie schien öfter hier zu sein. Das hatte ich nicht erwartet, überhaupt mußte ich das Bild, daß ich von ihr hatte, ständig neu entwerfen, sie tat immer etwas, das in meinen Augen nicht zu ihr paßte. Wenn ich dann aber darüber nachdachte, paßte es gerade zu ihr. Wir unterhielten uns den ganzen Abend über Belgrad. Ich fragte sie schließlich, warum sie mir das billige Zimmer ganz oben vorgeschlagen hatte. Sie lachte, genau wüßte sie es auch nicht, ich hätte etwas an mir gehabt von einem Menschen, der Zeit hat, aus dem Fenster zu sehen, von einem großen dunklen Vogel, wirklich. Wir waren die letzten Gäste. Der Wirt brachte drei Gläser Pflaumenschnaps und setzte sich zu uns an den Tisch, er fragte Ianna, wie es ihr ginge, mehr verstand ich nicht. Sie stellte mich vor: Mein Freund Michael, er klopfte mir auf die Schulter, und wir tranken auf Deutschland, auf Belgrad und die Freundschaft. Es war spät, als wir vor der Tür standen. Ich schlug vor, sie nach Hause zu bringen. Sie nickte und ließ auch zu, daß ich meine Jacke um sie legte. Wie frisch Verliebte gingen wir durch die nächtliche Stadt. Seltsam, daß gerade Ianna und ich ein so schönes Paar waren. Kurz bevor wir zu ihrem Haus kamen, rief sie ein Taxi für mich und handelte vorsorglich einen Preis für die Fahrt bis zum Hotel aus. Gute Nacht, Michael. Sie zog meine Jacke nicht aus, ich weiß nicht, ob sie
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