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Tuermer - Roman

Tuermer - Roman

Titel: Tuermer - Roman
Autoren: Daniela Danz
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ahnte ich, daß dieser Alptraum wahr werden könnte. Ein paar Fanatiker hatten die Stadt in der Hand. Ich sprach zu Hause gleich mit meiner Mutter, was wäre, wenn wir auch eine Kerze aufstellen würden, denn das hatte nichts mit Wahrheit zu tun, die ganze Aktion folgte menschenverachtenden Gesetzen, nach denen wir uns nicht richten müßten. Sie überlegte und war schon fast entschlossen, wollte aber vorher noch Vater fragen. Es war schlimm, was die ganze Zeit geschwelt hatte, kam an diesem Abend zum Ausbruch. Mein Vater hat darunter gelitten, daß er nicht mehr arbeiten konnte, daß Mutter Geld verdiente und noch dazu als Serbin behandelt wurde, weil sie seine Frau war, daß sie seinetwegen nicht aus der Stadt konnte. Er schrie und regte sich furchtbar auf, und schließlich brach er weinend zusammen. Mutter schickte mich zu den Nachbarn, damit ich unsere Kerzen verschenken sollte, aber ich ging nicht. So saßen wir zu viert mit meiner kleinen Schwester auf der Couch im Wohnzimmer, die wir ans Fenster gerückt hatten. Die Dämmerung kroch herein. Keiner machte das Licht an, keiner sagte etwas. Wir sahen, wie eine Frau eine Kerze im Erdgeschoßfenster des gegenüberliegenden Hauses aufstellte. Die Frau öffnete kurz das Fenster und sah herum, ob noch andere Kerzen in den Fenstern standen. Sie war nicht die erste, einige wenige hatten schon vor Einbruch der Dämmerung Kerzen aufgestellt, nur hatte man sie bei Tageslicht nicht gesehen. Während sie in ihr zweites Fenster auch eine Kerze stellte, so als hielte sie es für Bürgerpflicht, um einen erschossenen Polizisten zu trauern, wurden fast gleichzeitig auch in andere Fenster Kerzen gestellt, die schienen darauf gewartet zu haben, daß einer den Anfang machte. Sicher brannten nun auch schon auf unserer Seite Kerzen, vielleicht in den Fenstern unserer Nachbarn. Ich ging in Gedanken die Familien durch, die in unserem Haus wohnten. Mir fiel ein, daß manche möglicherweise nicht wußten, daß diese verdammten Kerzen nicht das Zeichen der Trauer sind, sondern eine Einschüchterungsaktion. Es war inzwischen schon fast dunkel. Mein Vater hatte seine Sprache wiedergefunden, der Streit war vergessen, wir gehörten zusammen, wie wir da saßen im dunklen Wohnzimmer. Er sagte, daß sie sich nichts Besseres hatten ausdenken können, als keinen bestimmten Zeitpunkt festzulegen, sondern die ganze Nacht zur Trauernacht zu erklären. So war genug Zeit, daß die, die sich erst nicht darauf einlassen wollten, doch mitmachten. Ich glaubte trotzdem, daß viele standhaft bleiben würden. Ich rief auch ein, zwei Freunde an, die mir vor ein paar Stunden versprochen hatten, daß sie nicht mitmachten. Eine Freundin sagte, daß sie keine Kerze aufstellen würde. Eine andere sagte dasselbe, aber sie fügte hinzu, daß es in ihrer Familie Streit gebe deswegen, sie legte schnell auf.
    Als ich ins Wohnzimmer zurückkam, sagte ich meinem Vater, daß es noch welche gab, die keine Kerzen aufstellten. Er sagte nichts darauf, sondern stand reglos am Fenster und starrte auf die Straße. Ich stellte mich neben ihn und sah, wie ein paar Typen mit Stöcken am Gürtel die Fenster nach Kerzen absuchten, die Etagen abzählten, auf die Klingelschilder sahen und Namen aufschrieben. Es brannten inzwischen in den meisten Fenstern Kerzen. Manche hatte extra das Licht ausgemacht, damit man die Kerzen gut sah. Vater hatte die Gardine zurückgezogen. So müßten sie uns ansehen, wenn die Reihe an unser Fenster kam. Ich stellte mich gut sichtbar neben ihn.
    Später versuchte ich noch einmal, meine Freunde anzurufen, aber keiner nahm ab. Es war ganz still auf der Straße, obwohl es erst elf Uhr war.
    Ianna schwieg. Ich war mit meinen Gedanken beschäftigt. Die Sonne stand niedrig inzwischen. Der Himmel färbte sich schon leicht orange, und wir warfen lange Schatten ins Zimmer.
Zeitzone
    Ich schreckte aus einem Traum hoch. Das Zimmer lag im Dämmer der hellen Mondnacht. Ich lag angezogen auf dem Bett. Wo war Ianna, war ich eingeschlafen? Das konnte nicht sein. Ich ging auf den Flur und lauschte, auf einem der unteren Flure unterhielten sich zwei Männer mit gedämpften Stimmen offenbar über ein Geschäft. Wie spät mochte es sein? Ich sah auf mein Handy, es war halb drei. Sollte ich hinuntergehen und mich entschuldigen? Vielleicht hatte sie sich um die Zeit auch hingelegt. Ich setzte mich auf die Bettkante und dachte nach, was ich gemacht haben könnte im Mai ’91. Ich rechnete aus, daß ich gerade beim Bund gewesen
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