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Tuermer - Roman

Tuermer - Roman

Titel: Tuermer - Roman
Autoren: Daniela Danz
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für gute Pigmente, kein Geld für Leinöl. Das weißt du. Das ist, was ich habe: Eiweiß und ranziges Öl, Kohle, Erde … Na, kann man damit Blumensträuße malen? Du malst doch sowieso keine Blumen. Nein, male ich nicht. Ich kann mit diesen Farben auch nur Bäume malen. Aber du könntest doch … Nein, ich kann nur Bäume malen. Er sagte diesen Satz mit solchem Nachdruck, daß ich schwieg. Ich schwieg, wie Mutter schwieg, ein wenig blaß, wenn er nach Tagen mit halbleeren Leinwänden nach Hause kam. Nichts als ein paar Äste darauf in dieser stumpfen, rissigen Dreckfarbe. Nur seine Erklärungen, was auf den Bildern zu sehen sein würde, wenn sie fertig wären, wurden immer länger. Obwohl er der Überzeugung war, daß wir von Bildern gar nichts verstünden, beschrieb er uns das, was noch nicht zu sehen war, ausführlich. Hier würde der Himmel sein, kein Himmel wie wir ihn kennen, sondern ein vitreszierter Himmel. Er sagte vitresziert, weil es ihm egal war, ob wir ihn verstanden. Mutter strich mir, wenn er fertig war und sich erschöpft in den Sessel fallen ließ, über den Kopf und sagte: Es werden Apfelbäume, Birnbäume, was du willst. Vater wird die Bilder hier drin fertig malen, wenn es Winter ist. Ich wußte nicht, was schlimmer war – seine Erklärungen oder ihr Streicheln.
    Vater malte die Bilder nicht mehr fertig. Er sagte, er brauche Zeit, eine Schiffsladung Zeit. Der Türmerposten auf St. Thomas war vakant geworden. Mutter hatte Angst und hatte Hoffnung. Es wurde entschieden, daß Vater der Nachfolger des verstorbenen Türmers werden sollte. Das erste Mal seit langem sah ich ihn vergnügt, fast triumphierend. Siehst du, sagte er beim Abendessen, ein Kunstmaler ist nicht irgendwas. Unter zehn haben sie mich ausgewählt. Ja, erwiderte Mutter bitter, du warst wahrscheinlich der einzige, der nüchtern war. Es war das erste Mal, daß ich einen Widerspruch von ihr hörte.
    Mutter traf sich heimlich mit der Witwe des alten Türmers. Nun, Sie werden leben wie die Vögel, sagte die Alte. Mutter wußte nicht, was das heißen soll. Sie sah auf den Drähten die Rauchschwalben hocken: einerseits, andererseits. Sie warf Äste nach ihnen, und als sie sie verjagt hatte, warf sie weiter nach den leeren Drähten. Was meinst du, Jan, wenn so ein Ast zwischen zwei Drähten hängenbleibt und wenn es regnet und sich dann eine Schwalbe darauf setzt, was passiert dann? Ich verstand sie nicht. Vermutlich nichts, antwortete ich. Das war im Frühling, und wir zogen auf den Turm.
Aufsteigen
    Ich zählte die Stufen, als wir mit den Koffern auf den Turm stiegen und Vater fluchte und Mutter sich immer wieder nach mir umdrehte. Zweihundertdreiundsechzig, als der vom Kirchenvorstand sagte: Da wären wir. Ich konnte nicht sehen, wo wir sein sollten, denn auf dem schmalen Podest hatten nur der vom Vorstand und mein Vater Platz. Mutter und ich standen auf Stufe zweihundertdreiundsechzig und ich rechnete eins hinzu. Die Zahl stimmte, ich ging am Abend noch sechsmal hinunter und hinauf: zweihundertvierundsechzig. Der vom Vorstand wies auf zwei Türen: Das wären dann die Schlafzimmer. Früher haben sie mit vier Kindern hier gelebt, was wollen Sie mehr. Und hier, er öffnete eine weitere schmale Tür, befindet sich das Uhrwerk. Sie verändern daran bitte nichts. Als er weiterging, sah ich noch einmal in die beiden Schlafzimmer. Im rechten standen zwei Betten. Im linken nur eines. Das also würde mein Zimmer sein. Ein eigenes Zimmer. Wir stiegen die Treppe weiter nach oben, ich zählte nicht mehr. Auf dem nächsten Treppenabsatz war die Küche. Mutter öffnete hastig alle Ofenklappen und schloß sie wieder, aber der vom Vorstand war schon weiter in die angrenzende Stube gegangen. Er stand am mittleren Fenster und sah hinaus. Vater fragte Beiläufiges und bekam mißtrauische Antworten. Dabei wußte ich, daß er wenig Hintersinn in diese Fragen legte. Es war Frühling, und er sorgte sich um wenig. Mutters Augen aber liefen von einer Wand zur anderen, sie stieß Vater an und flüsterte: Frag nach dem Holz, frag nach dem Wasser, frag nach dem Rauch und dem Abtritt. Wo soll das hin, wo sollen wir hin?
    Eine weitere Tür ging von der Küche ab: Das ist Ihre Wirkungsstätte, Herr Facher. Der Turmumgang. Ein niedriges Geländer. Mein erster Blick auf das Satteldach der Kirche. Schwindelhaft steil war es. Ich fragte den vom Vorstand danach: Dreiundsechzig Grad steil, antwortete er unwillig, und: Norden, Süden, Osten, Westen. Damit betrachtete er
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