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Türme Der Dämmerung

Titel: Türme Der Dämmerung
Autoren: L. E. Modesitt
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hinzukommen, wenn wir ihren Rat oder ihr Wissen für wünschenswert halten.«
    Nach diesen Worten erheben sich die Regenten und verlassen den Raum.

 
XCLIV
     
    I m Osten der Schwarzen Residenz hört Creslin das sanfte Rauschen des Meeres am Fuß der Klippen. Der linde Wind haucht noch eine Spur der kühlen Feuchtigkeit des nächtlichen Regens in sein Gesicht.
    Seine geschärften Sinne verraten ihm, wo die Mauer steht, obgleich er sie nicht sehen kann. Er setzt sich auf die Steine und lässt sich von der aufsteigenden Sonne das Gesicht wärmen.
    Eine Möwe kreist schreiend irgendwo über dem Strand. Megaera schläft noch, und sie braucht den Schlaf – für sich und die Tochter, die sie unter dem Herzen trägt.
    Eine zweite Möwe gesellt sich zur ersten, dann fliegen beide fort. Wolken ziehen von Westen herauf.
    Der Wind wechselt die Richtung, wird kühler und kündigt den Regen an, der später fallen wird.
    »Liebster?«
    Megaera betritt die Terrasse. Sie trägt einen großen Gegenstand, doch vermag er nicht zu erspüren, was es ist.
    »Geht es dir gut?« fragt er.
    »Ein wenig müde, aber Aldonya versichert mir, das sei üblich.« Sie setzt sich neben ihn und stellt den Gegenstand auf die Terrasse.
    »Was für ein schöner …« … tut mir leid … wie dumm …
    »Schon gut. Selbst ich merke, dass es ein schöner Tag ist. Die Luft ist frisch. Ich habe sogar die Sonne gespürt, ehe die Wolken heraufzogen.«
    »Würdest du mir einen Gefallen tun?«
    »Welchen? Ich spüre genug, um nicht aufs Gesicht zu fallen, und ich kann mich selbst anziehen …«
    »Creslin!« … kein Selbstmitleid …
    Er hört die Schärfe in ihren unausgesprochenen Worten und muss lächeln. Das ist Megaera, wie er sie liebt. »Gut, kein Selbstmitleid.«
    Sie reicht ihm etwas.
    Er spürt das glatte Holz der Gitarre. »Aber …«
    »Du brauchst nichts zu sehen, um zu spielen.«
    Er berührt die Saiten. Warum hat er die Musik gemieden?
    »Du hattest gute Gründe, aber jetzt denke nicht daran. Spiel und sing ein Lied für mich. Irgendein Lied.«
    … bitte …
    Ihre Schmerzen treffen ihn wie ein Dolchstoß. Er denkt kurz nach und greift in die Saiten.
     
    … unten am Gestade, wo weiße Wellen sich kräuseln,
    dort setz dich hin und lausche der Winde Säuseln.
    Der Ostwind liebt der Sonnen Licht,
    dem Westwind ist lieber des Mondes Gesicht.
     
    Als er das Lied beendet hat, schweigt Megaera, doch die Wärme in ihr ermutigt ihn, aufs Neue in die Saiten zu greifen.
     
    Bitte nicht das Lied, gesungen zu werden,
    noch die Glocke, geläutet zu werden,
    oder dass meine Geschichte zu Ende sei.
    Die Antwort ist alles – und nichts.
    Die Antwort ist alles – und nichts.
     
    Seine Stimme verklingt, seine Finger lösen sich von den Saiten. Das Gästehaus erscheint ganz deutlich vor den weißen Wolken und dem blaugrünen Himmel. Doch gleich darauf schließt sich die Schwärze wieder um ihn. Keine Türme der Dämmerung, keine großartigen Visionen, nur ein kleines Haus aus Stein, Wolken und Himmel.
    Seine Augen brennen. Vorsichtig lehnt er die Gitarre an die Mauer. »Habe ich …?«
    Megaera legt ihre Hand auf die seine. »Liebster.«
    Er schluckt.
    »Die Töne …« … waren golden!
    Sie legt ihm den Arm um die Schultern. Beide sitzen schweigend da.
    Schließlich fragt er: »War das eben eine Vision? Ich wünschte, ich hätte dich erblickt.«
    »Es war keine Vision.«
    »Dann hat Lydya mit allem recht, was sie über das körperliche Chaos sagte. Du hast mich vor langer Zeit gefragt, warum ich imstande sei, mit dem Schwert zu töten. Jetzt kann ich es nicht mehr.«
    »Nein.« Ihre Stimme klingt sanft.
    »Und ich werde niemals wieder dazu imstande sein, richtig? Selbst, wenn ich wieder sehen könnte? Ich kann auch die Winde nur noch im Dienste der Ordnung herbeirufen?«
    »Das glaubt Lydya nicht.«
    Er lacht, halb freudig, halb verbittert. »Also hast du die Gitarre hergebracht, damit ich dich sehen und der Dunkelheit entrinnen kann?«
    Sie nickt.
    Wieder greift er nach der Gitarre.
    »Liebster …«
    Sie presst ihre Lippen auf seinen Mund. Er steht auf und zieht sie an sich. Die Wolken teilen sich, das Sonnenlicht, das er noch nicht sehen kann, fällt auf die beiden, die zu dritt sind … und doch nur einer.

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