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Tschoklet

Titel: Tschoklet
Autoren: Harald Pflug
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Türchen auf.
    »Das Schloss ist kaputt«, konstatierte er die Aktion.
    Edwards deutete mit dem Zeigefinger auf das Schlüsselloch. »Aber das hier ist total abgenutzt!«
    »Ja. Der Wachmann kontrolliert zweimal täglich das Schloss mit dem Schlüssel. Es bleibt kaputt.« Das klang logisch.
    Die vier betraten die riesige Lokrichtehalle von der Südseite aus. Überall standen ausgeschlachtete Lokomotiven, Kessel und Achsen, eingesäumt von zahlreichen Büros auf den oberen Etagen, mit Balkonen und Treppen davor. Verschiedene gelb-schwarz gestrichene Balkenkräne warteten auf ihren nächsten Einsatz. Mitten in der Halle prangte eine antik anmutende Wanduhr mit verschnörkelten Zeigern. Diese waren bei neun Uhr sechs stehen geblieben. Unmengen von Glasscheiben des Werkes waren durch die Luftangriffe zerstört worden. Spinnweben und eine dicke Staubschicht bedeckten die mechanischen Anlagen und Lokomotiven. Mitten durch die riesige Halle liefen zehn Gleise, beidseitig von Holztoren von der Außenwelt abgetrennt. Irgendwo tropfte laut Wasser in einen großen Behälter. Das Hallendach knackte in der heißen Mittagssonne. Die vielen Tore mit den T-förmigen Schienenausschnitten an den Unterseiten waren schon lange nicht mehr geöffnet worden. Das Hämmern Hunderter Schlosser und Metallbauer echote noch in den Gedanken durch die riesige Werkhalle.
    »Das ist die einzige Tür, über die man reinkommt«, bemerkte der Junge. »Nur das zerstörte Kesselhaus und der Turbinensaal sind noch offen. Die Betriebsküche und der Speisesaal am Haupteingang sind nicht erreichbar. Die Franzmänner haben vor drei Wochen innen drin die Treppen abgebaut und mitgenommen.«
    »Du bist aber gut informiert!« Edwards klopfte Werner anerkennend auf die Schulter. Der Junge lachte. »Seit das Werk zu ist, sind wir hier fast täglich zum Spielen. Draußen stehen noch komplette Dampfloks vor den Hallen.«
    »Seid ihr uns bös, wenn wir euch jetzt rausschicken müssen? Hier ist irgendwo ein Mann unterwegs, den wir finden müssen.«
    »Hier im Werk?«, fragte Gisela neugierig.
    »Ja, hier im Werk. Er ist sehr gefährlich und bewaffnet. Er versteckt sich hier irgendwo.«
    »Komm, wir gehen!« Das Mädchen zog ihren jüngeren Bruder aus der Tür. »Wir warten vor dem Türchen.«
    Edwards gab beiden Kindern lächelnd die Hand. »Ich danke euch für eure Hilfe. Vielen Dank!« Dann schloss er die vergitterte Glastür von innen. Sein Lächeln wich dem Ernst der Situation.
    Fast dreißig Minuten lag Christine in der warmen, öligen Brühe. Nun hob sie mühsam ihren Kopf. Nur gut einen Meter von ihr entfernt saß der erschöpfte Amerikaner auf einem Absatz mit einer Art Zahnstange, hustete und stöhnte. Unter seinen eingefallenen und erschöpften Augen hatten sich dunkle Ringe gebildet. Er hielt sich mit beiden Händen den Unterleib, immer wieder hob er seinen Kopf über den Rand der stählernen Grube und kontrollierte die Umgebung.
    Edgar hätte jetzt gesagt: Er simuliert den Ernstfall, die faule Sau! Christine staunte über sich selber, dass ihr ausgerechnet die Worte dieses brutalen Menschen einfielen. Erschossen hatten sie ihn. Angesichts der Gräueltaten eine viel zu milde Strafe. Der Vater hatte den Gedanken schon etwas drastischer ausgesprochen. »In die Knie schießen und den Drecksack mit allen Hunden über die Äcker jagen.« Das waren immer seine Worte. Wenn er jetzt wüsste, wo seine geliebte Tochter gerade war. Von einem mehrfachen Mörder entführt und in irgendeine gottverlassene Fabrik geschleift, die vermutlich ihr Grab werden würde.
    Guter Amerikaner, böser Amerikaner, zwei Seiten der Medaille. Ein Weinkrampf drückte von unten in ihr hoch. Reiß dich zusammen, Christine! Wenn du schwach wirst, zeigst du Angst, das macht den Gegner noch stärker. Keine Angst! Keine Angst!
    Sie wischte sich mit einem triefend nassen Fetzen ihres ehemals weiß-grauen Rockes über das Gesicht. Alles tat weh. Oh mein Gott, würde sie sich jetzt im Spiegel anschauen, würde sie sich vermutlich selbst nicht erkennen.
    Roebuck und Edwards liefen aufmerksam und mit schussbereiter Maschinenpistole auf dem äußeren Gang entlang, dort, wo die Büros waren. Rechts von ihnen, einen Meter tiefer, hinter dem Geländer, stand eine lange Reihe von Werkbänken neben der anderen, Hunderte Schraubstöcke, Werkzeug, Kugellager, auf vier fettigen Holzböcken lagen nebeneinander zwei riesige Schubstangen. Die rötlichen Farbreste darauf waren noch gut erkennbar. Es sah
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