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Tschoklet

Titel: Tschoklet
Autoren: Harald Pflug
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Fautenbruchstraße angekommen, stürmte Roebuck in das marode Verwaltungsgebäude und verlangte mit vorgehaltener Waffe den Schlüssel für den Wasserturm. Dann rannte er keuchend die über dreihundert Stufen nach oben, um festzustellen, dass es dort oben in dem mit Holzbrettern verkleideten Wasserreservoir keine Fenster gab.
    Er überlegte kurz, orientierte sich an den durch die Ritzen der Verkleidung scheinenden Sonnenstrahlen, lud hektisch die Maschinenpistole durch und schoss in die Planken. Dann lugte er durch die ausgesplitterten Löcher nach draußen, um sich einen anfangs noch atemlosen Überblick über den östlichen Teil der Zufahrtsgleise des Hauptbahnhofs zu verschaffen. Auch von oben sah er nur die abgestellten, teils zerstörten Personenwagen, die bereits vorher den Blick über die Gleise versperrten.
    Also rannte er wieder hinunter, wo ihm am unteren Treppenansatz der alte Turmwärter begegnete.
    »Was haben Sie da oben gemacht? Worauf haben Sie geschossen?«
    Doch Roebuck schob den verärgerten Mann kurzerhand beiseite und stolperte zurück zu van Bouren.
    »Wilbur, fahr diese Straße weiter runter! Rechts kommt eine Brücke, an deren Ende ist das Wasserwerk! Dort habe ich eine bessere Sicht als hier.«
    »Aber du warst doch eben schon da oben. Hast du nichts sehen können?«
    »Verdammt, nein! Der Turm hatte kein Fenster, ich musste erst ein paar Löcher reinschießen!«
    »Du hast eben geschossen? Worauf denn?«
    »Wilbur, ich …«, Roebuck rieb sich den Schweiß von der Stirn. »Fahr einfach los und halt die Klappe!«
    Während der schmollende Kanonier das Gaspedal aufs Bodenblech trat, meldete sich Edwards per Funk: »Scout Zwei von Scout Eins, kommen?«
    »Scout Zwei hört!«
    »Die beiden gesuchten Personen laufen auf den südlichen Gleisen des Rangierbahnhofs. Die Frenchys haben alles nach Wunsch abgeriegelt. Fahrt über die Brücke in den Wald, dort den neben den Gleisen verlaufenden Weg entlang bis zu einem großen Werksgelände. Dort schnappen wir ihn uns. Over.«
    Roebuck fiel ein Stein vom Herzen. Seine geliebte Christine lebte also noch. Der Chef hatte deutlich von zwei Personen gesprochen. Er würde Harrison krankenhausreif prügeln, falls dieser ihr etwas antäte. Der Spezialist ballte grimmig seine Fäuste.
    Der desertierte Soldat hatte es geschafft, Christine wieder vor sich herzutreiben. Sie stiegen über Tausende von Schwellen, Gleise, Weichen, um zerstörte Züge herum, durch offene Viehwaggons, krochen unter den gebogenen Schienen hindurch, mitten durch einige Bombentrichter, über zerborstene Teile einiger Waggons, Dampflokomotiven und umgestürzte Gittermasten.
    Christine lief wie auf Watte. Sie spürte ihre verletzten Glieder kaum noch, die Füße waren wie von einer Taubheit gefangen, jedes Mal, wenn sie strauchelte und fiel, stand sie wie in Trance wieder auf und stolperte weiter. Ihre Finger und Hände waren übersät mit Rissen, Abschürfungen und Blasen, trotzdem krallte sie sich an alle Gegenstände, die sie voranbrachten.
    Nach kurzer Zeit der Hast über das schier unendliche Bahngelände fiel Chuck auf, dass beidseitig der Schienen Franzosen patrouillierten oder Wache fuhren. Zu gerne hätte er die verdammten Gleise verlassen und sich mit dem Mädchen in den kühlen und schattigen Wald geschlagen, aber das war nun nicht mehr möglich. Nicht mit den verdammten Franzosen! Auf einer langen, eisernen Brücke, die über ihren Köpfen die Bahngleise überspannte, liefen Männer mit Gewehren und Ferngläsern auf und ab, doch glücklicherweise bemerkten sie sie nicht. Harrison wusste nicht, dass die Soldaten vorher angewiesen worden waren, sie absichtlich zu übersehen.
    So liefen sie weiter, Schwelle für Schwelle, ständig den Soldaten ausweichend, bis nach einer lang gezogenen Rechtskurve endlich ein paar Gebäude vor ihnen auftauchten, die anscheinend unbewacht waren. Eine lange Halle, in die die Gleise führten und hinten wieder hinausliefen, ein großes Gebäude mit einem gemauerten Kamin und weitere Hallen mit Schienen davor. Und überall Dampflokomotiven und Lagerregale und Schrotthaufen. Gott sei Dank, ein Unterschlupf!
    Erschöpft und mit den letzten Kräften, die er aufbieten konnte, ließ er sich in die Grube einer Lokomotiv-Verschiebeanlage gleiten. Das erschöpfte und bereits vollkommen willenlose Mädchen zog er rücksichtslos hinter sich her. Sie fiel direkt vor seinen Füßen in eine ölige, in allen Regenbogenfarben schillernde Pfütze, die sich auf den
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