Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Tschoklet

Titel: Tschoklet
Autoren: Harald Pflug
Vom Netzwerk:
seinen heißen Kaffeebecher vorsichtig auf die schräge Motorhaube des White’s M3 Halbkettenfahrzeugs, hinter einen großen Nietenkopf, damit der Pott nicht herunterrutschen konnte. M3-Hauben waren schräg, zu schräg zum Liegen, bequem zum Sitzen, meist aber stark erhitzt vom Sechszylindermotor, der unter der Haube lautstark werkelte. Doch jetzt war noch Ruhe am Neckarkanal. Keine lauten Motoren, Kettengeräusche oder gar irgendwelche gebellten Befehle an die Privates. Edwards genoss die Ruhe. Eine Amsel zwitscherte aus der Entfernung gedämpft ihr Lied. Er erinnerte sich an seine Jugend in Cliffdale, Illinois, wenn er mit seinem Vater zum Fischen an den Seitenarm des Mississippi gelaufen war. Nebelschwaden, glucksendes Wasser und der gleiche Geruch nach frühem Morgen. Er fand, dass es morgens besonders gut roch, nach frischem Tag eben.
    Er ließ die halb gerauchte Zigarette aus seinen Fingern fallen, sog die kühle Morgenluft in seine Lungen und lehnte sich an den knorrigen, alten Apfelbaum, unter dem die M3 stand. Zwischen den Zelten sah man den Kopf von Private Gordon Huckleby hochschnellen und wieder verschwinden. Jedes Mal, wenn Hucky seinen Gaskocher anzünden wollte, benahm er sich, als würde er eine Mine entschärfen. Stichflamme und Gaspuff gehörten zum normalen Morgen. Ein seltsamer Typ, ein technisches Antigenie mit zwei linken Händen, ständig irgendwo verbunden und zerschrammt. Aber der perfekte Schütze. Traf in Frankreich mit seinem Garand zwei Nazis mit einem Schuss. Diese Geschichte hatte er schon Hunderte Male gehört. Erstaunlicherweise gab es sogar Zeugen, die das mit eigenen Augen gesehen haben wollten. Vor einigen Monaten rief jemand seinen Namen, während er mit den anderen Soldaten im Deckungsgraben lag, Hucky hob, ohne nachzudenken, die Hand und irgendein blöder Deutscher schoss ihm aus der Ferne mit dem MG eine Fingerkuppe ab.
    Jetzt vollführte er wieder die Prozedur des Kaffeekochens. Gas puffte, Stichflamme, hochhüpfen, typisch Hucky eben.
    Die Idee, auf der Streuobstwiese zu lagern, fand Edwards eigentlich nicht schlecht, einige hatten gemurrt, aber es war besser, als ewig nach einer Scheune suchen zu müssen, verängstigte Bauern zu vertreiben oder die ganze Nacht Hühnergegacker zu hören. Und die Nächte waren lau und morgens nicht mehr so kühl, eigentlich sehr angenehm zum Zelten. Außerdem war die Wiese schön kurz geschnitten, die tief hängenden Äste der Bäume mit ihrem frischen Grün boten Platz, um die Klamotten aufzuhängen, die Zeltbahn anzuknoten oder dienten einfach als Feuerholz.
    Damals hatte ihn sein Vater mit dem Hund zum Feuerholzsammeln geschickt, während dieser die Fische zerlegte und sie aufgespießt am Feuer briet. Und später saßen sie am Illinois River auf einem umgekippten Baumstamm, der in den Fluss ragte, ließen ihre Füße im seichten Wasser baumeln und sein Vater erzählte aus seiner eigenen rastlosen Jugend. Von den großen Schubverbänden, die mit stinkenden, rauchenden Schornsteinen mühsam flussaufwärts Richtung Florence vorbeigetuckert waren, von Vogelschwärmen, Mückenplagen und Heuschrecken, die alles wegfraßen. Von den großen Mississippidampfern, deren große Zeit eigentlich schon lange vorüber war, von einem gesunkenen Flussschlepper, dessen marode Aufbauten aus dem seichten Wasser ragten und für kleine Jungs der schönste Abenteuerspielplatz der Welt war, obwohl es die Eltern strikt verboten hatten, und Geschichten von verirrten Riesenkrokodilen, die nachts an Land krochen, um die Hühnerställe zu zerstören und auch junge Rinder am Stück herunterschlucken konnten.
    Schon Ende der Zwanzigerjahre fuhren die fremden Autos und Lastwagen die Staatsstraße 100 entlang nach Südosten Richtung Saint Louis oder Chicago im Norden. Wenn er als Schüler Zeit hatte, lief er immer runter zum Illinois River, um die Lastkähne auf dem Fluss zu bestaunen, die vom Michigansee zum Golf von Mexiko unterwegs waren.
    Allein die Autokennzeichen, Aufschriften und Schiffsnamen erzählten ihm schon Geschichten aus anderen Bundesstaaten und sogar aus fremden Ländern und weckten den Wunsch, eines Tages in die Fremde zu gehen.
    Edwards erinnerte sich auch gerne an das ältere Ehepaar aus Chicago, welches damals mit einer chromblitzenden Duesenberg-Limousine gehalten hatte, um in Cliffdale auf der blumenübersäten Wiese zwischen der Straße und dem Fluss zu picknicken. Der alte, weißhaarige Bert Shumaker erzählte ihm von einem Kaiser namens Wilhelm in
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher