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Tschoklet

Titel: Tschoklet
Autoren: Harald Pflug
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Europa, den er sehr bewunderte und dessen Bartschnitt er jetzt trug. Von der redseligen Mrs Shumaker, seiner Ehefrau, hatte er ein fantastisch schmeckendes Stück Johannisbeerkuchen bekommen und auch sie erzählte die ganze Zeit nur von ihm. Vom Glanz der vergangenen Zeit, als alles besser war, von marschierenden Soldaten, glitzernden Helmen, Marschmusik und prächtigen Kutschen. Diesen Wilhelm hätte der junge John gerne kennengelernt. Ein berühmter Mann aus Deutschland, mit weißem Vollbart und einem Helm mit einer goldenen Spitze.
    Fünfzehn Jahre später stapfte er in einer feuchtnassen Wiese in Deutschland herum, jenem Land des Kaiser Wilhelm, das ihm so schön romantisch beschrieben worden war. Aber hier fühlte es sich manchmal an, als wäre er der letzte Mensch auf dieser Welt. Um ihn herum diese kalte Fremde, mit fremden Menschen und dem fremden Krieg, mit dem er nie etwas zu tun haben wollte, aber inzwischen ein Teil dessen geworden war.
    Immer wieder kam er freiwillig oder unfreiwillig mit Deutschen in Kontakt. Auf der Universität von Urbana-Champaign in Illinois traf er während seiner Studienzeit in der riesigen Hausbibliothek einen ehemaligen Deutschen mit dem seltsamsten Vornamen, den er je gehört hatte. Der Physikdozent Polykarp Kusch, ein Emigrant aus Blankenburg, stand mit einer Tasse Tee in der Hand zufällig in der gleichen Regalreihe wie Edwards und blätterte gedankenverloren in einem dicken Buch, als der junge Student zufällig nach einem Buch in der gleichen Reihe suchte. So kamen sie ins Gespräch und der Deutsche mit der schwarzen Haartolle und der Nickelbrille erzählte ihm von seiner Geburtsstadt im Harz mit der trutzigen Burg oberhalb der Stadt, dem Schloss und vielen anderen Sachen. Diese Stadt hatte er nie gesehen, da seine Eltern Deutschland verließen, als er selbst erst ein Jahr alt war. Kusch war, obwohl ein eigenartiger Kauz, ein angesehener Wissenschaftler und der jüngste Dozent der Universität mit einem eigenen Labor.
    Vor zwei Jahren hatte sich Edwards nach der Universität freiwillig zur Army gemeldet, war zur Kadettenausbildung nach Fort Bragg, North Carolina, gekommen, zum Truppführer ausgebildet und aufgrund der guten Leistungen und einer schnellen Beförderungspolitik zu den Scouts im 157. Infanterie-Regiment, 41. Bataillon, 7.-Armee-Gruppe abkommandiert worden. Sozusagen das landgestützte Prisenkommando der amerikanischen Besatzungsmacht.
    Er erinnerte sich noch gut an den endlosen Flug in der klapprigen Lockheed Constellation Propellermaschine, als sie nachts in England gelandet und in das nächste Flugzeug in Richtung Frankreich umsteigen mussten. Nach über zwanzig Stunden waren sie in irgendeinem Nest bei Paris angekommen und er hatte morgens, gleich nach dem Frühstück und einer Zigarette, seine neue Scout-Einheit mit zehn unerfahrenen Soldaten übernommen. Zehn Mann und anfangs drei Fahrzeuge. Nach nur drei Wochen waren einige seiner Kameraden entweder verletzt ausgefallen oder durch ihre Unerfahrenheit ums Leben gekommen.
    Anfangs wurde die Vorhut noch willkürlich zusammengewürfelt: »Wo ist Ihre Einheit, Soldat? Verloren? Da, Captain Edwards sucht Freiwillige. Sie sind jetzt ein Freiwilliger!«
    Als man Edwards gestattete, sich sein Team selbst auszusuchen und mit Erlaubnis von oben seine Kameraden aus verschiedenen Waffengattungen zu rekrutieren, gingen die Verluste praktisch gegen Null. Anfangs hatte er die Namen seiner Leute kaum auswendig gewusst, da waren sie schon tot oder verwundet. Nicht dass die Scout-Abteilung ein Himmelfahrtskommando war oder Kamikaze bedeutete. Es war halt doch ein Unterschied, ob fünfhundert Mann ein Objekt suchten oder zwei.
    Da man oft Kontakt zum Hauptquartier der 7. Armee brauchte, musste wenigstens ein Funker mit, ein Mechaniker für die gepanzerte White’s M3 Halbkette mit einem schweren Maschinengewehr auf einer Lafette und ein Fahrer für den gedrungenen Zwei-Achs-Lastwagen der Marke Dodge WC-52. Edwards suchte in den Einheiten gerne nach Multitalenten, die sowohl fahren und gut schießen konnten als auch noch eine weitere spezielle militärische Befähigung hatten. Erstaunlicherweise waren diese dann meist Einzelgänger, die sich in die Truppe nicht recht integrieren konnten. Edwards hasste die Soldaten, die nur versuchten, sich als Drückeberger, Neinsager oder Angeber durch den Militärdienst zu schummeln. Karrieresüchtige gab es genug, aber die kleinen Profis, deren Fähigkeiten innerhalb der Masse untergingen,
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