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Tschoklet

Titel: Tschoklet
Autoren: Harald Pflug
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diese Soldaten blühten manchmal geradezu in der Scout-Einheit auf.
    Zum Beispiel Private Huckleby, der schusselige Dauergast bei den Sanitätern, extrem zuverlässig als Bodyguard und Kanonier der M3, wenn er dürfte, würde er das wuchtige Browning-Maschinengewehr abends mit in den Schlafsack nehmen. Corporal Miller, ein Perfektionist am Funkgerät und im Pokerspielen, konnte reden wie ein Wasserfall und ließ sein Gegenüber kaum zu Wort kommen. Corporal Anthony Roebuck, der Kartenspezialist und der stille Gegenpol zu Miller. Der sportliche Roebuck liebte den Swing. Er erzählte gerne abends von den Hits von Bing Crosby, Count Basie, Glenn Miller und den Andrew Sisters. Wenn er sich unbeobachtet fühlte, summte er gerne ein Liedchen vor sich hin. Vor der Militärzeit hatte er einige Monate als Küchenhilfe im Restaurant seiner Schwiegermutter gearbeitet. Nachdem er das erwähnt hatte, wurde er von Edwards sofort zum Koch des Teams ernannt.
    Und ganz besonders Technical Sergeant Joey Vickers, als Edwards rechte Hand und Fahrer, der so ziemlich alles reparieren konnte, was Räder oder Ketten hatte. Nicht mal zum ersten Feldgottesdienst auf deutschem Boden hatte Vickers mit sauberen Händen kommen können. Eigentlich roch er nur nach Motoröl und Benzin, weswegen viele immer einen großen Bogen um ihn machten.
    Die anderen waren ›Freiwillige‹, hatten aber schon einige Scout-Touren hinter sich und waren teilweise erfahren. Leider waren sie nicht erfahren genug im Sterben. Als die Einheiten vor Monaten nachts über den Rhein bei Mannheim-Sandhausen gefahren wurden, gingen zwei Männer über Bord, weil sie die Trossen für die Pontons übersehen hatten, die über das Wasser gespannt waren, um die schweren Kettenfahrzeuge übersetzen zu können. Zwölf Mann gingen in Deckung, Zwei nicht. Ärgerlich.
    Fröstelnd steckte er die linke Hand noch tiefer in die Jackentasche und griff mit der Rechten zum Kaffee. Warum musste Patchs Generalstab ausgerechnet ihn für die Vorhut nach Karlsruhe bestimmen, eine Stadt weiter im Süden, wo bereits die Franzosen drinhockten?
    Er solle sich die Kasernen der Stadt anschauen, Unterkünfte für Offiziere prüfen und der neuen Stadtverwaltung einen Besuch abstatten. Seine Vorgesetzten baten ihn um Unterstützung bei der Gründung von Air-Bases und der Zwangsbeschlagnahmung von Nutzgebäuden. Auch der Rheinhafen mit seinen Lagerhallen und dessen baulicher Zustand waren für die amerikanischen Besatzer ein wichtiger Punkt.
    Erste Priorität hatte natürlich die Reichsautobahn. Von Mannheim über Karlsruhe und Stuttgart durchgehend nach Ulm, ohne die amerikanische Zone verlassen zu müssen. Die wichtigsten Transportrouten um jeden Preis selbst kontrollieren. Leider kam der Rhein dafür nicht infrage, denn die deutschen Pioniere hatten bei ihrem Rückzug einige Tage vor Kriegsende fast alle Rheinbrücken außer jene in Remagen sprengen können. Diese blockierten nun an vielen Stellen die komplette Wasserstraße.
    Angeblich gäbe es schon Verhandlungen zwischen den Generälen Eisenhower und de Lattre de Tassigny zur Übergabe des französisch besetzten Gebiets zwischen Mannheim und Karlsruhe an die US-Armee. Doch die Franzosen würden dieses Gebiet nur ungern abgeben, munkelte man. Um von Rheinstetten bei Karlsruhe ins nur zehn Kilometer entfernte pfälzische Maximiliansau am Rhein zu gelangen, müsste man somit die amerikanische Zone durchqueren. Das hätte Grenzkontrollen auf beiden Seiten zur Folge. Sehr unangenehm.
    Okay, Edwards hatte sehr gute Scout-Erfahrung, war schon in Saarbrücken, Kaiserslautern, Worms, Frankenthal und Mannheim für die Siebente unterwegs gewesen. Nach der Teilung der Armee in diverse Divisionen Richtung Osten und Südosten hatte man ihn nach Mosbach, Walldürn und Tauberbischofsheim geschickt, während die anderen Squads weiter Richtung Heilbronn und dem weit entfernten Nürnberg unterwegs waren. Ziel war ja die sogenannte ›Alpenfestung‹. Er hatte Tod, Verderben und Elend gesehen. Wie konnte ein einzelner Mann in Berlin – war der eigentlich General? – sein eigenes Volk verhungern oder verschleppen lassen? Dass da keiner was dagegen hatte? Wie blind musste man eigentlich sein?
    Manchmal musste Edwards auch blind sein, blind und taub. In Worms fanden sie drei Wochen nach dem letzten Bombenangriff fünfundzwanzig kleine Kinder in der Kanalisation, zehn von ihnen fast verhungert. Sie hatten sich von Abfällen ernährt und die Kloake getrunken. Bloß, um dem
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