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Tschoklet

Titel: Tschoklet
Autoren: Harald Pflug
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Bombenhagel zu entkommen. Nach vielen Stunden Alarm und tausend Bomben später war niemand mehr da, der sich an sie erinnerte: Da unten haben wir unsere Kinder vor dem Tod gerettet. Es hatte nicht mal jemand nach ihnen gesucht. Zufällig sah ein DP {1} beim Suchen nach Zigarettenstummeln auf der Straße drei kleine, schmutzige Fingerchen durch den Kanaldeckel ragen. Do your job!
    Die Morgensonne stieg langsam über den von den Deutschen Odenwald genannten Bergen empor und strahlte das erste wärmende Licht des Tages aus.
    Hucky riss Edwards aus den Gedanken. »Schaun Sie mal, ich glaube, ich hab mir das Gesicht verbrannt, war plötzlich so heiß.«
    Edwards sah Hucky mitleidig an, zuckte mit den Schultern und goss seinen inzwischen kalten Kaffee auf den Boden. Dann klopfte er zweimal mit dem Becher an die Motorhaube und ließ Hucky an der M3 stehen.
    »Ist Zeit zu gehen. Sagen Sie den anderen, sie sollen sich fertigmachen. Wir fahren in neunzig Minuten ab.«
    »Ja, okay.«
    Hucky blieb noch einige Minuten am Rand des Kanals stehen und sah in die trübe Brühe mit den Enten. Er kickte einen Lehmbrocken ins Wasser, die Enten flüchteten laut schnatternd und der braune Klumpen löste sich als braune Wolke im Wasser auf. Wie der braune Lehm lösten sich auch alle von den Amerikanern verfolgten Nazis auf, keiner wollte einer gewesen sein.
    Gegenüber, nicht weit vom Kanal entfernt, stand ein ausgebrannter deutscher Lastwagen mit einer halb heruntergezogenen Plane. Am Vortag hatten sie hier nachgeschaut. Falls es Leichen gegeben hatte, waren sie bereits abtransportiert worden. Alles Brauchbare war bereits geplündert oder abgeschraubt. Die eisernen Felgen waren durch die Hitze geschmolzen und oval geworden. Hucky glaubte, Einschusslöcher von einem Tiefflieger in der Motorhaube gesehen zu haben. Die P51-Mustang-Jagdflugzeuge hatten vor einigen Wochen noch auf Abruf alles beschossen, was sich bewegte. Ein kurzer Funkspruch, und zehn Minuten später wurde die Luft stark bleihaltig. Sogar Stabbrand- oder 150-Pfund-Bomben hatten sie dabei. Schnell und effektiv. Die Deutschen konnten sich lediglich erschießen lassen oder wegrennen.
    Vor einigen Tagen hatten sie einen abgeschossenen Bomber der Royal Air Force gefunden. Von der Besatzung keine Spur, aber selbst das zerbeulte Wrack wirkte bedrohlich und abschreckend. Die vier Motoren hatten sich metertief in den Acker gebohrt, die zerbrochenen Glaskanzeln der Lancaster lagen in Tausende Teile auf dem Boden zerstreut herum. Hinter dem Flugzeug befand sich eine Schneise der Zerstörung. Anscheinend fiel es brennend vom Himmel, setzte ein Waldstück sowie eine Forsthütte in Brand, nachdem es durch die Baumkronen gebrochen war. Im Rumpf bei den Einstiegsluken waren Einschusslöcher von Gewehren oder einer Maschinenpistole. Wurde die Besatzung von den Bewohnern erschossen, als sie sich aus dem brennenden Wrack retteten? Absturz überlebt, von der Meute aus Rache am Bombenhagel gelyncht? Verdammt tolle Aussichten!
    Endlich war der Krieg zu Ende, aber in jeder neuen Stadt konnte man ihn noch riechen. Zahlreicher Kriegsschrott in den Straßen, zerstörte Häuser, Hunderttausende Tonnen von Schutt überall, zerstörte Zukunft, ganze Familien waren ausgerottet, vertrieben oder verschwunden. Die weißen Fahnen an manchen Häusern konnten über das Elend nicht hinwegtäuschen. Wir ergeben uns. Dem Tod? Dem Schicksal? Freiwillig oder unfreiwillig? Wer hätte sich je träumen lassen, dass das mit dem tollen Führer des deutschen Volkes mal so schiefgeht? In vielen Orten hatten sie kurz nach der Kapitulation Erhängte gefunden. Auf Dachböden, in Kellern, in Hinterhöfen. Zivilisten, ehemalige Parteigenossen der NSDAP, Leute mit Zukunftsängsten. Selbstmorde waren damals an der Tagesordnung. Bei Remagen hatte man über hundertdreißig unversehrte Zivilisten tot aus dem Rhein geborgen. Die Nächte zuvor waren sie in das kalte Wasser gestiegen und hatten den Freitod gewählt.
    Hucky hatte von befreundeten Soldaten gehört, dass sie bei München ein Konzentrationslager der Deutschen erobert hatten. Leichen hatten sie gefunden! Überall blau-grau gestreifte Leichenberge mit Verhungerten, Erschossenen oder Verbrannten. Und die Lebenden waren schlimmer als die Toten. Langsam herumschlurfende, vollkommen apathische Menschen, hohle, eingefallene Gesichter, bis auf die Knochen abgemagert. Und dazwischen ein paar Hundert Kinder. Man sagte nur: Den Geruch und den Anblick vergisst du nie wieder! Die
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