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Tschoklet

Titel: Tschoklet
Autoren: Harald Pflug
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teilweise eingestürzten Tunnel der Gepäckabfertigung presste er ihr die Hand auf den Mund und drückte sie mit dem verletzten Arm gegen die verrußte Wand. Die verschmutzte und blutige Schlinge aus Baumwollstoff hatte er bereits kurz zuvor abgestreift.
    »Du weißt, wer ich bin?«
    Sie starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Dann nickte sie kurz.
    »Du weißt, was ich von euch will?«
    Sie nickte erneut.
    »Hast du Angst vor mir?«
    Tränen schossen ihr in die Augen.
    »Wenn du dich ruhig verhältst, passiert dir nichts. Wenn du gegen mich arbeitest, wirst du es bereuen. Verstanden? Ich will nur Edwards!«
    Sie nickte wieder nur.
    »Du läufst vor mir her. Ich sage dir, wo wir hingehen. Wenn du versuchst zu fliehen, ersteche ich dich mit dem Messer. So wie deinen Begleiter. Er dürfte inzwischen vor dem Bahnhof verblutet sein.«
    Christine warf entsetzt ihren Kopf hin und her, versuchte zu schreien und fing dann aber an zu weinen. Harrison schlug ihr erst ins Gesicht und dann den Kopf brutal gegen die Steine. Wieder näherte er sein Gesicht dem ihren.
    »Blondie! Nicht schreien!«, presste er wütend hervor. »Ich lasse dich jetzt los. Wenn du fliehst, stirbst du. Wenn du schreist, stirbst du auch. Das willst du doch nicht, oder?«
    Christine konnte sich nicht rühren, da er sie zu fest an die Mauer drückte, sie merkte nur, wie ihr das warme Blut vom Hinterkopf in den Kragen der Bluse lief. Kopfschmerzen breiteten sich aus.
    Plötzlich lockerte der Amerikaner seinen Griff und ließ sie ganz los. Augenblicklich sackte sie in die Hocke und fing wieder an zu weinen. Er ergriff ihren Arm und zerrte sie hoch, dabei hatte sie kurz das Gefühl, dass der Deserteur selbst wahnsinnige Schmerzen hatte, denn er stöhnte dabei leise.
    Er schubste sie mit dem unverletzten Arm in den dunklen, etwa drei Meter breiten Gang. Rechts und links gingen ein paar Leitern nach oben, weiter hinten schien in regelmäßigen Abständen von rechts grelles Sonnenlicht auf den gekachelten Boden. Sie kämpften sich an eingefallenen Stahlträgern vorbei, durch ein Gewirr von herabhängenden Stromkabeln hindurch, in Richtung der ersten Öffnung. Im Licht der halb in das Gewölbe hineinscheinenden Sonne sah sie schwarze Reifenspuren, die von Tausenden Gummireifen auf der Rampe und dem dunklen Gang weiter hinunter hinterlassen worden waren. Überall an den Wänden waren Kratzspuren und Gummiabrieb in Kniehöhe. Auf der ersten, von Schutt und Steinen bedeckten Schräge musste Christine auf Anweisung stehen bleiben, der Deserteur stützte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht direkt hinter ihr an der Wand des Gewölbes ab und presste sich, leicht gebückt, die Hand an die linke Lende. Kurz zuvor hatte er noch wie ein Sklaventreiber mit dem Brotmesser vor ihren Augen herumgefuchtelt, jetzt krümmte er sich plötzlich vor Schmerzen. Christine sah hasserfüllt auf ihn herab und empfand absolut kein Mitleid für ihn.
    Roebuck und van Bouren machten sich auf den Weg in das Gebäude des Hauptbahnhofs. Allerdings kamen sie nicht weit, da aufgrund des eingestellten Bahnverkehrs die Türen abgeschlossen und Teile der Dachkonstruktion der Bahnhofshalle eingestürzt waren. Der Kanonier hatte vorher mit dem mitgebrachten Fernglas die Fronten der Gebäude rund um den Bahnhofsvorplatz abgesucht.
    Die einzige Fluchtmöglichkeit war laut der Gendarmerie, den Bahnhof über die Bahnsteige oder die seitlichen Tunnel zu verlassen. Die Franzosen hatten die zwei Fahrzeug-Unterführungen hinter dem Bahnhof bereits gesperrt und das Gebäude mit Suchscheinwerfern erleuchtet. Es gab kein Entrinnen. Übrig blieben nur der kleine Tunnel für Reisende und der Gang der Gepäckabfertigung, welcher beim letzten Gleis unterirdisch endete.
    Knackend und mit einem Piepton meldete sich das Funkgerät, welches van Bouren über seinen Rücken gehängt hatte, zu Wort: »Scout Zwei von Scout Eins, kommen?«
    »Scout Zwei hört.« Van Bouren drückte sich die Gummimuschel ans Ohr.
    »Die großen Tunnel sind dicht und clear. Die Frenchys haben die Kontrolle. Vor dem Gepäcktunnel stehen Jonas und Piece. Wo seid ihr beide?«
    »In der Fußgänger-Unterführung bei Gleis drei und vier. Over.«
    »Okay, geht weiter nach hinten, so sechs oder sieben. Irgendwo müssen sie ja sein. Passt ja auf euch auf, Harrison hat meinen Colt von Cemposano erbeutet! Over.« Die Stimme von Letchus hörte sich sehr komisch, aber auch besorgt an.
    »Verstanden. Gleis sechs oder sieben. Wir steigen mal auf ’n
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