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Whisper Island (01) - Sturmwarnung

Whisper Island (01) - Sturmwarnung

Titel: Whisper Island (01) - Sturmwarnung
Autoren: Elizabeth George
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WIE ALLES BEGANN
    Der letzte Tag von Hannah Armstrongs Existenz war zunächst ein Tag wie jeder andere. Sie erreichte 94 von 100 Punkten in einem Mathetest und nahm eine Einladung zu einem Kinobesuch am Ende der Woche an. Sie konnte an diesem Tag früher nach Hause, weil eine ihrer Mannschaftskameradinnen beim Volleyball einen Schmetterball auf die Nase bekommen und alles vollgeblutet hatte. Der Coach brach das Training ab, und alle Spielerinnen verließen die Turnhalle. Das war Hannah ganz recht. Sie spielte sowieso nur Volleyball, weil ihre Mutter, die unbedingt wollte, dass Hannah abnahm, darauf bestand.
    Wie immer ging sie zu Fuß nach Hause. Sie trug ihr Audiogerät nicht, weil sie es außerhalb der Schule eigentlich nicht brauchte. Es sah aus wie ein iPod, gab aber keine Musik wieder. Stattdessen spielte es eine Art atmosphärisches Rauschen ab, das dafür sorgte, dass Hannah die unzusammenhängenden Gedanken anderer Leute nicht mehr hörte. Sie hatte diese abgehackten Gedanken, die sie selbst als Flüstern bezeichnete, seit ihrer frühesten Kindheit wahrgenommen. Dieses Flüstern drang jedoch wie ein schlecht eingestelltes Radio in ihren Kopf ein und machte für sie die Schule zum Albtraum. Deshalb hatte Hannahs Mom einen Apparat für sie anfertigen lassen, den sie AUD-Box nannte. Diese Box trug sie seit ihrem siebten Lebensjahr.
    Zu Hause steuerte sie direkt auf die Treppe zu. Sie wollte gerade oben auf ihr Zimmer gehen, als sie sah, wie ihr Stiefvater verstohlen dort herausgeschlichen kam.
    Ihre Blicke trafen sich. Verdammt … was macht sie … wird sie … warum hat sie nicht drangen Jeff Corries Gedanken abgerissen und scheinbar willkürlich in ihren Kopf ein, so wie es das Flüstern immer tat. Sie blinzelte und runzelte die Stirn, als sie die Wortfetzen hörte, und fragte sich, was ihr Stiefvater in ihrem Zimmer getrieben haben könnte, außer sich erneut zu vergewissern, dass sie ihrer Mutter nichts davon erzählen würde, wie sie ihm bei seinen neuesten zwielichtigen Geschäften half.
    Es war nicht so, als hätte sie ihm helfen wollen. Aber Hannahs Mom war Jeff Corrie völlig verfallen, was hauptsächlich an seinem Aussehen und weniger an seinem Charakter lag, und hatte ihm – blind vor Leidenschaft – erzählt, was in Hannahs Kopf vorging, wenn sie die AUD-Box nicht trug. Es hatte nicht lange gedauert, bis er einen Weg gefunden hatte, seinen eigenen Nutzen aus Hannahs Gabe zu ziehen. Er beschloss, sie in seinem Investmentbüro »anzustellen«, damit sie Kaffee, Sandwiches und Erfrischungen brachte, sie auf dem Tisch anrichtete und gleichzeitig dem Flüstern seiner Kunden lauschte, um ihre Schwächen auszuspionieren. Auf diese Weise brachten er und sein Kumpel Connor alte Leute um ihr Geld. Es war ein großartiges Geschäftsmodell, mit dem sie Millionen kassierten.
    Hannah hatte ihm nie helfen wollen. Sie wusste, dass es falsch war. Aber dieser Mann jagte ihr genauso Angst ein wie die Tatsache, dass sein Flüstern, das, was er sagte, und sein Blick nie dasselbe ausdrückten. Sie verstand nicht, was das bedeutete. Ihr war jedoch klar, dass es nichts Gutes verhieß. Deshalb erzählte sie niemandem davon. Sie tat einfach, was man ihr sagte, und wartete auf das, was auch immer als Nächstes passieren würde. Sie hatte keine Ahnung, dass es genau an diesem Nachmittag passieren würde.
    Jeff Corrie fragte: »Was machst du so früh zu Hause?« Er sah auf ihr rechtes Ohr, in dem sonst der einzelne Kopfhörer der AUD-Box steckte.
    Hannah kramte die Box aus ihrer Tasche, klemmte sie am Bund ihrer Jeans fest und stöpselte sich den Hörer ins Ohr. Er kniff die Augen zusammen, bis er sah, wie sie die Lautstärke aufdrehte. Erst dann schien er sich zu entspannen.
    »Das Training ist ausgefallen«, erwiderte sie.
    »Dann mach deine Hausaufgaben«, sagte er.
    Er ging an ihr vorbei die Treppe hinunter. Sie hörte, wie er schrie: »Laurel? Wo zum Teufel bist du? Hannah ist zu Hause.« Als müsste seine Frau deswegen irgendetwas unternehmen.
    Hannah stellte ihren Rucksack in ihr Zimmer. Auf den ersten Blick sah alles genau so aus, wie sie es heute Morgen zurückgelassen hatte, nur dass jetzt ein Stapel frischer Handtücher auf ihrem Bett lag. Hatte Jeff ihn vielleicht dort hingelegt? Das wäre eine logische Erklärung. Trotzdem ging Hannah zum Nachttisch und überprüfte die Schublade.
    Der schmale Streifen Tesafilm war abgerissen. Jemand hatte die Schublade geöffnet. Jemand hatte ihr Tagebuch gelesen.
    Es reicht
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