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Whisper Island (01) - Sturmwarnung

Whisper Island (01) - Sturmwarnung

Titel: Whisper Island (01) - Sturmwarnung
Autoren: Elizabeth George
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Rauschen, das die AUD-Box von sich gab. Aber in diesem Augenblick sah sie das erste Auto, das durch den Seitentunnel einfuhr und gleich neben ihrem Fahrrad zum Stehen kam. Es war ein Polizeiwagen.
    Wenn einem sprichwörtlich das Blut in den Adern gefrieren kann, passierte Becca genau das in diesem Moment. Sie konnte an nichts anderes denken als daran, was Jeff Corrie mit Sicherheit als Erstes unternommen hatte, als er feststellte, dass seine Frau und seine Stieftochter verschwunden waren: die Polizei rufen, sie beide als vermisst melden und die Öffentlichkeit alarmieren, um sie so schnell wie möglich zu finden, damit er Becca und das, was sein Flüstern ihr verraten hatte, für alle Zeiten auslöschen konnte. »Angriff ist die beste Verteidigung«, war schon immer Jeffs Lieblingsmotto gewesen, und wie hätte er besser in die Offensive gehen können? Becca konnte sich sogar vorstellen, wie das Flugblatt aussah, das er wohl entworfen hatte und wahrscheinlich überall verteilte. Es steckt bestimmt an einem Klemmbrett in dem Polizeiwagen, dachte sie bei sich, mit meinem und Moms Gesicht darauf.
    Sie wandte sich langsam von dem Polizeiwagen ab, fest entschlossen, stur geradeaus zu schauen. Ein plötzliches Abwenden hätte womöglich Aufmerksamkeit erregt, und der Gedanke, sich keine zehn Minuten, nachdem sie ihre Mutter zurückgelassen hatte, zu verraten, war so schrecklich, dass sie das Gefühl hatte, Neonpfeile zeigten von der Decke der Fähre direkt auf sie hinunter, sodass der Polizist sicher gleich aus dem Wagen steigen und sie ausfragen würde.
    Aber die Anspannung und die Ungewissheit, ob man sie bemerkt hatte, waren zu viel für Becca. Obwohl sie wusste, dass sie sich damit einem noch heftigeren Ansturm aussetzte, der wie Schlaghämmer in ihrem Kopf dröhnen würde, blieb ihr nichts anderes übrig: Sie drehte die AUD-Box leiser, um ein paar nützliche Informationen aufzuschnappen.
    Es war fast unmöglich, irgendetwas deutlich zu hören. Da war: Nancy verdammt, und: das Abendessen wird nicht, und: Nagellack überall im verdammten Auto, und: habe mit meinem Chef über die Situation gesprochen, und: William muss zum Friseur , bis sie auf einmal von einer Wärme erfüllt wurde, die man als Allerletztes an diesem kalten, klammen Ort vermuten würde. Die Wärme wurde von einem Duft begleitet, der ebenso fehl am Platz war. Dort, wo ihr eigentlich Dieseldämpfe und Abgase von den Autos und Motorrädern in die Nase hätten steigen müssen, nahm sie den süßen Geruch von gekochten Früchten wahr. Der Duft war so stark, dass Becca zu dem Polizeiwagen herumwirbelte, noch bevor ihr richtig bewusst wurde, was sie tat.
    Aber sie dachte nicht daran, was passieren könnte. Im Augenblick wollte sie nur herausfinden, wo diese Wärme und dieser Duft herkamen.
    Da sah sie ihn zum ersten Mal, den Jungen, der ihr Leben völlig verändern würde. Er war etwa so alt wie sie und saß in dem Polizeiwagen. Er saß auf dem Beifahrersitz, nicht hinten, und unterhielt sich mit dem Polizisten. Sie blickten beide ernst, und der Kontrast zwischen ihnen hätte nicht größer sein können.
    Der Junge war schwarz, tiefschwarz, und die Mitternachtsfarbe seiner Haut ließ den Polizisten neben ihm noch weißer erscheinen. Der Junge war außerdem völlig kahlköpfig, aber nicht, weil er krank war, sondern aus Überzeugung. Es stand ihm sehr gut, und im Gegensatz zu ihm hatte der Polizist eine Menge braun-grau meliertes Haar.
    Während Becca den Jungen betrachtete, fiel ihr auf, dass er der erste Nichtweiße war, den sie in der Nähe der Fähre gesehen hatte. Es war nicht ihre Absicht, ihn anzustarren, und sie starrte ihn nicht an, als der Junge sie ansah. Als sich ihre Blicke trafen, verstärkten sich das Gefühl der Wärme und der Duft von kochendem Obst, aber auf dieser Wärme trieb noch etwas anderes – Leere und Verzweiflung, die sie so nicht erwartet hatte. Und mit dem Schmerz des Jungen strömte ein einzelnes Wort zu ihr herüber, das dreimal wiederholt wurde: Freude, Freude, Freude .
    Becca lächelte den Jungen schwach an, so wie man auf der Straße einem Fremden zulächelt. Aber die Leere wuchs daraufhin noch mehr, und als sie fürchtete, von ihr überwältigt zu werden, senkte sie den Blick. Der Polizist stieg im selben Moment aus dem Wagen. Er schloss sorgfältig die Tür und ging zur Treppe, während er eine Telefonnummer in sein Handy tippte.
    Auch wenn dies ein günstiger Moment gewesen wäre, um sich dem Jungen zu nähern, hütete sich
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