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TS 91: Bis in die Unendlichkeit

TS 91: Bis in die Unendlichkeit

Titel: TS 91: Bis in die Unendlichkeit
Autoren: A. E. van Vogt
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je.
    Das Leben, das er einst gekannt hatte – ein Leben rascher Fahrten zu anderen Planeten, angenehmer Wochen in entfernten Teilen des Weltalls – es war jetzt unwirklich, und im Geiste noch weiter weg als in Zeit und Raum.
    Mit einer Willensanstrengung erhob sich D’Ormand. Jetzt war keine Zeit für schwermütige Erinnerungen. Er mußte sich darüber klarwerden, daß er vor einer Krise stand. Die Frau war nicht gekommen, nur um ihn anzublicken. Eine Entscheidung wurde erzwungen, und er mußte ihr begegnen. Plötzlich entschlossen, wandte er sich um und betrachtete die Frau. Zum erstenmal genau.
    Sie bot einen erfreulichen Anblick. Ihr Gesicht war jugendlich, edel geformt. Ihr Haar war dunkel. Es gehörte gekämmt, war aber nicht strähnig, so daß die zerzauste Form keineswegs unelegant wirkte. Ihr Körper …
    D’Ormand erstarrte. Bis zu diesem Augenblick hatte er nicht den Unterschied zwischen ihr und den anderen bemerkt. Sie war angezogen. Sie hatte ein langes, dunkles Kleid an, das sich nicht ganz mit den bloßen Füßen vereinbaren ließ, die unter dem bauschigen Rock hervorlugten.
    Angezogen! Jetzt gab es keinen Zweifel mehr. Das ging ihn an. Was aber erwartete man von ihm?
    Verzweifelt starrte D’Ormand auf die Frau. Ihre Augen glichen leblosen Juwelen, als sie seinen Blick erwiderte. Mit aller Verwunderung durchfuhr ihn eine Frage:
    Welche unglaublichen Gedanken bewegten sich hinter diesen strahlenden Fenstern ihres Geistes?
    Es war, als stünde er vor verschlossenen Türen; könnte er durch sie dringen, würde er das Bild einer Welt antreffen, die drei Jahrmillionen älter war als die seine.
    Allein schon der Gedanke daran war erschütternd. Mit eisiger Schärfe durchströmte er sein Nervensystem. Er dachte:
    ,Das Weib ist die Kathode, der Mann die Anode. Alle Macht entspringt ihrer Beziehung zueinander, insbesondere dann, wenn der Anodenfaktor mit drei oder mehr Kathodenfaktoren eine Verbindung eingehen kann.’
    Hier angelangt, zwang D’Ormand seinen Geist zum Halt. Hatte er dies gedacht? Niemals?
    Ein jäher Schauer durchfuhr ihn. Denn ein zweites Mal hatte sich die fremdartige, neurale Verständigungsmethode in ihm eingeschlichen, ohne daß er sich dessen bewußt geworden wäre. Und diesmal erkannte er, daß eine oder auch vier Frauen mit einem Mann in Kontakt treten konnten. – Was die Frage zu erklären schien, weshalb es hier so viele Frauen gab.
    Seine Erregung begann abzuklingen.
    Na und? Es erklärte noch immer nicht, warum diese Frau in seiner nächsten Nähe war. Außer dies bedeutete irgendein phantastisches Heiratsangebot.
    D’Ormand musterte die Frau von neuem. Und schließlich erfüllte ihn die erste zynische Anwandlung seit langem. Denn zwölf Jahre lang hatte er die Lockungen heiratsfähiger junger Frauen gemieden, und nun war er ihr Gefangener. Alles sprach dafür, daß diese Frau mit der Absicht hergekommen war, ihn zu heiraten.
    Seine Bedrohung machte es nur allzu erklärlich, daß er jetzt unterZeitdruck handelte. Und so trat er zu ihr, nahm sie in die Arme und küßte sie.
    ,In einer Krise’, dachte er, ,muß jede Tat nüchtern, unbefangen und aufrichtig sein.’
     
    *
     
    Sekunden später vergaß er es. Die Lippen der Frau waren weich und nachgiebig. Kein Widerstand ging von ihnen aus; andererseits aber fehlte auch jegliches Bewußtsein um die Bedeutung der Küsse. Seine Berührung ihrer Lippen war gleichzusetzen mit der Liebkosung eines kleinen Kindes – er traf dieselbe grenzenlose Unschuld an.
    Ihre Augen, jetzt den seinen so nah, waren lodernde Feuerherde, in denen ein Nichtbegreifen saß, eine so tiefe Passivität, daß sie nur abnormal sein konnte. Es war nun sonnenklar, daß diese junge Frau noch nie etwas vom Küssen gehört hatte. Ihr glühender Blick lag mit einer sonderbar fremden Gleichgültigkeit auf ihm, einer Gleichgültigkeit, die plötzlich – verschwand.
    Verwunderlich, aber so war es.
    Ihre Augen – ein einziges Lichtermeer – weiteten sich, blickten sichtlich verwirrt. Dann wich sie zurück, mit einer raschen, geschmeidigen Bewegung. Im gleichen Moment drehte sie sich um und schritt davon – bis sie zu einer schattenhaften Gestalt wurde, die sich nicht mehr umblickte.
    D’Ormand starrte ihr beklommen nach. Ein Teil seines Ichs empfand ironische Genugtuung bei dem innerlichen Tumult, den er ausgelöst hatte. Aber die Überzeugung, daß er selbst die Niederlage erlitten habe, wuchs mit jeder verstreichenden Sekunde. Er, D’Ormand, war es
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