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TS 44: Die Milliardenstadt

TS 44: Die Milliardenstadt

Titel: TS 44: Die Milliardenstadt
Autoren: Kurt Mahr
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Kinderseele füllte sich mit den Bildern grauenhafter Fabelwesen, die an ihm vorüberhuschten und dabei an seinen Kleidern und den Haaren zogen.
    In der ersten, unbewußten Reaktion versuchte er, dorthin zurückzukehren, von wo er gekommen war. Er kam ein Stück weit, dann wurde der Weg zu steil.
    Inzwischen hatte er festgestellt, daß offenbar niemand ihm etwas tun wolle, und mit einer bei fünfjährigen Kindern völlig ungewöhnlichen Konsequenz empfand er von da an niemals mehr Furcht vor den dunklen Kanälen des Luftaustausches.
    Er marschierte weiter in die Finsternis hinein. Das mußte er gebückt tun, denn der Kanal war nicht ganz einen Meter hoch, Egan-Egan dagegen besaß die bei Kindern der vierten Kaste in seinem Alter niemals beobachtete stattliche Größe von einem Meter und fünf Zentimetern.
    Er hatte ein deutliches Gefühl für die Zeit und meinte, es müsse eine Stunde vergangen sein, als der Gang in einer Spirale nach unten zu führen begann. Der Sturm pfiff immer noch, aber er hatte an Wucht nachgelassen. Egan-Egan interessierte zu erfahren warum, und sein Instinkt sagte ihm, daß er es erfahren werde, wenn er nur weit genug weitermarschiere.
    Egan-Egan folgte der Neigung – manchmal kletternd, mit den Füßen voran und dem Kopf in die Richtung, aus der er gekommen war, manchmal ein Stück rutschend, wenn der Boden glatt genug dazu war.
    Stunde reihte sich an Stunde, und selbst Egan-Egan mit seiner überaus erstaunlichen Fähigkeit, die Dinge sachlich zu beurteilen, hatte das Gefühl, er müsse nun bald den Mittelpunkt der Erde erreicht haben; denn er wußte, daß man das, worauf die Menschen lebten, die Erde nannte und daß die Erde eine gewaltige Kugel aus Lehm sei, wenn er es richtig verstanden hatte, und daß sie in einem Weltäther schwebe, den tagsüber die Strahlen der Sonne durchdrangen und nachtsüber die der Sterne. Das alles hatte Egan-Egan schon gehört – aus Gesprächen unter Erwachsenen, denen er aufmerksam gelauscht hatte. Es war ihm niemals gelungen, einen Sinn in dieses Gerede zu bringen; aber er hatte nicht aufgehört, darüber nachzudenken.
    Der Sturm hatte weiter nachgelassen. Egan-Egan machte eine kleine Pause und versuchte dabei, die Spirale des Kanales soweit entlangzuschauen, wie er konnte. Er jubelte freudig auf, als er vor sich einen schwachen Lichtschimmer zu erkennen glaubte. Im Nu war die Müdigkeit vergessen. Er kletterte eifrig weiter.
    Schließlich ging der Kanal wieder in die Waagrechte über, und in diesem Augenblick sah Egan-Egan kaum hundert Meter vor sich das kreisrunde Loch, in dem der Kanal endete und durch das das Licht hereindrang. Gebückt lief er zu dem Loch hin und schaute hinein.
    Was er sah, schien ihm das schönste aller Märchen in seiner märchenarmen Welt weit zu übertreffen. Vor ihm lag eine gewaltige Halle, von goldenem Licht überflutet. Die Halle war größer, als Egan-Egan jemals zuvor einen Raum gesehen hatte; und da ihm beigebracht worden war, der Platz der Erkenntnis sei das Größte, was es auf dieser Welt gebe, weigerte er sich einen Augenblick lang, seinem Sehvermögen zu trauen.
    Das Loch, in dem er kauerte, lag etwa zwei Meter über dem Boden der Halle. Vor Neugierde brennend, kletterte er weiter hinein, hielt sich eine Weile an der Kante des Loches fest und sprang dann hinunter. Der Boden war hart, und er fiel hin. Aber obwohl sein rechtes Knie zu bluten begann, war er sofort wieder auf den Beinen und starrte sprachlos in das lichtglänzende Wunderland.
    Jetzt, da seine Ohren nicht mehr erfüllt waren von dem Sturm, der durch den Kanal pfiff, hörte er das Rumoren der gewaltigen Gebilde, die den Boden der Halle bedeckten. Er hatte niemals etwas gesehen, was ihnen ähnlich war, und er konnte sich nicht im geringsten vorstellen, welchem Zweck sie dienten.
    Er war indes schon mit vier Jahren darauf angewiesen gewesen, seine Neugierde aus eigenen Erkenntnissen zu befriedigen, da allein seine Gegenwart seine Mutter nervös machte und er zudem noch mehr Fragen stellte als andere Kinder. Einen großen Teil der Dinge, die er wußte, hatte er selbst herausgefunden; für ihn gab es keinen Zweifel daran, daß er auch das Geheimnis dieser Halle ergründen könne.
    Er ging also zu den rumorenden Ungetümen hin, die sich aus dem Boden der Halle erhoben, um zu sehen, was sie bedeuten mochten.
     
    *
     
    Eine Stunde später hatte er festgestellt, daß die „Dinge“ aus einem Material bestanden, das er noch niemals gesehen hatte. Manchmal lagen
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