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TS 44: Die Milliardenstadt

TS 44: Die Milliardenstadt

Titel: TS 44: Die Milliardenstadt
Autoren: Kurt Mahr
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I. Der Entdecker
     
    Die Stadt hieß N-ork. Niemand wußte, warum sie so hieß und was dieser Name bedeutete; aber auf der anderen Seite schien es auch niemanden zu interessieren.
    Auf jeden Fall war sie ein Alptraum von einer Stadt. Da sie an der Küste des Meeres lag, war sie anders angelegt als die anderen Städte. Die Wohnungen der ersten, der obersten Kaste, lagen nicht im Zentrum, sondern breiteten sich in der Form eines seiner Längsachse nach halbierten Eies an der Küste aus. Die Küste verlief, grob gesagt, von Norden nach Süden. Das Wohngebiet der ersten Kaste reichte von der nördlichen bis zur südlichen Begrenzung der Stadt und schloß somit wirkungsvoll alle anderen Kasten von der Besiedlung der Küste aus. Seine größte Tiefe erreichte das Gebiet etwa in der Mitte zwischen den beiden Grenzen; dort drang es etwa fünfundzwanzig Kilometer in das Land hinein.
    Landeinwärts schloß sich daran das Wohngebiet der zweiten Kaste an. Es erreichte nirgendwo das Meer, aber man erzählte sich, daß die Leute der zweiten Kaste von ihren hohen Häusern aus das Meer sehen könnten. In der Tat waren die Gebäude der zweiten Kaste die höchsten, die es in der Stadt gab. Manche ragten bis zu drei Kilometern in den ständig blauen Himmel hinein. Aber die Häuser standen jeweils für sich allein. Zwischen je zweien von ihnen war ein Zwischenraum von wenigstens einem halben Kilometer, der Zwischenraum erfüllt von Wiesen, Gärten und parkähnlichen Hainen.
    Die Wohnstadt der zweiten Kaste fing die Wölbung, die das Gebiet der ersten Kaste landeinwärts machte, wieder auf und schloß gegen das Land der dritten Kaste geradlinig ab, wobei die Linie, wie man hörte, parallel zur Küste verlief. Die Grenze lag mehr als siebzig Kilometer landeinwärts.
    Hinter dieser Grenze begann eine andere Welt. Hatte man in den Wohngebieten der ersten und zweiten Kaste mehr Bäume, Sträucher und Wiesen als Häuser gesehen, so fand sich hier nicht einmal mehr ein einziger Grashalm. Die niedrigen, schmutzigen Gebäude lagen eng aneinandergedrängt die breiten und meistenteils halbleeren Straßen entlang. Kein Haus unterschied sich in irgendeinem Zug von dem andern, selbst schmutzig waren sie alle in der gleichen Weise. Obwohl es Häuser gab, die nur als private Wohnunterkunft für drei oder mehr Familien dienten, und andererseits solche, in denen Behörden residierten, war ein Unbefangener nicht in der Lage, zu entscheiden, welchem Zweck zum Beispiel das Haus diente, vor dem er gerade stand.
    Der eigentliche Alptraum jedoch begann erst hinter jener buckligen Linie, die die Wohnstadt der dritten Kaste zum Gebiet der niedrigsten, der vierten Kaste hin abgrenzte. Die vierte Kaste wohnte nicht eigentlich in einer Stadt, sondern vielmehr in einem einzigen, riesigen Gebäude, das nur durch eine Unzahl von Erkern, Nischen, Einschnitten, Türmen, Tunnels und Kuppeln zum Ausdruck brachte, wie vielfältig das Leben war, das in seinem Innern pulsierte.
    Vielfältig war es allerdings nur, was die Zahl der Beteiligten betraf. Wohnten im Gebiet der ersten Kaste über hunderttausend Menschen, so waren es in der Stadt der zweiten Kaste schon drei Millionen. Die dritte Kaste der Stadt N-ork zählte knapp siebzig Millionen Köpfe, und die Stärke der vierten Kaste schätzte man – sie war niemals genau gezählt worden – auf rund eine Milliarde.
    Jemand, der keine Ahnung davon hatte, wieviele Menschenleben jenes graue Gebäude beherbergte, mochte seine Größe einmalig, erstaunlich und gigantisch nennen. In der Tat erstreckte es sich in der simplen Form eines Balkens etwa dreihundert Kilometer von Norden nach Süden und besaß eine Tiefe von nahezu hundertundfünfzig Kilometern. Dazu war es noch in eine Folge von durchschnittlich fünfzehnhundert Stockwerken unterteilt, von denen fünfhundert über und eintausend unter der Erde lagen. Und trotzdem war es ein erbärmliches Areal für eine Milliarde Menschen, selbst wenn man bedachte, daß die Energieversorgungsanlagen dieses Kolosses weit außerhalb lagen und somit keinen zusätzlichen Platz beanspruchten.
    Keines der Stockwerke war – solange es der Aufnahme von Wohnungen diente – höher als zwei Meter und fünf Zentimeter. Lediglich die Straßen und einige öffentliche Plätze, die die Adern und Muskelknoten des steinernen Klotzes darstellten, machten eine Ausnahme; aber selbst der Platz der Erkenntnis mit seinem gewaltigen Durchmesser von einem Kilometer maß vom Boden bis zur Decke nicht mehr
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