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Trümmermörder

Trümmermörder

Titel: Trümmermörder
Autoren: C Rademacher
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was hat das mit mir zu tun?«, unterbricht ihn Thumann, noch bevor er fertig ist.
    »Waren Sie in den letzten Tagen in der Baustraße? Oder beim Bahnhof Landwehr? Ist Ihnen irgendetwas Verdächtiges aufgefallen?«
    »Ich gehe hier fast nie raus. Zu kalt. Ich mache in diesem Bunker so eine Art Winterschlaf. Wenn der Hafen nicht mehr zugefroren ist und uns die Engländer endlich wieder richtige Schifffahrt erlauben, dann bin ich hier weg. Bis dahin hocke ich in diesem Loch und versuche mich möglichst wenig zu bewegen.«
    Stave beschreibt die Tote, so gut er kann. »Kennen Sie diese Frau?«
    Thumann lacht dreckig. »Ich kenne viele junge, nackte Frauen. Billige und nicht so billige. Könnte jede von denen sein, so wie Sie die beschrieben haben.«
    Der Oberinspektor atmet tief durch, trotz der muffigen Luft. »Wohnt hier vielleicht eine junge Dame, auf die eine solche Beschreibung passen würde? Mittelblonde, halblange Haare, blaue Augen, etwa zwanzig Jahre alt?«
    Lachen, dann Kopfschütteln. »Woher soll ich das wissen? Bin froh, wenn ich von den anderen nichts mitbekomme. Zwei Verschläge weiter liegt dieses junge Wrack, sternhagelvoll Tag und Nacht. Nebenan hat sich einer mit Tuberkulose zu Tode gehustet. Danach ist vor ein paar Wochen eine Familie aufgekreuzt, niemand von denen sprach ein Wort Deutsch. Franzosen wahrscheinlich. Vielleicht DPs aus einem Lager. Hab keinen Satz mit denen gewechselt, aber gehört, wie sie untereinander tuschelten. Die Wände sind ja dünn. Irgendwann kam einer ihrer Kollegen hier vorbei und hat die Bande abgeholt. Jetzt ist der Verschlag wieder frei, irgendjemand wird sich dort verkriechen, mir ist das egal. Jede Nacht schreit eine Frau, als würde man ihr die Hand abhacken. Grauenhaft. Aber glauben Sie, ich wüsste, wer so herumbrüllt? Oder aus welchem Verschlag die Schreie kommen? Keine Ahnung. Und auf den Etagen über mir war ich noch kein einziges Mal. Wozu auch? Ich kenne hier niemanden und schnüffle niemandem hinterher, nicht mal einer jungen, blonden Maus. Will bloß meine Ruhe haben. Ist hier schwer genug zu bekommen.«
    »Danke für Ihre Auskunft«, erwidert Stave und tritt grußlos aus dem Verschlag.
    Eine Stunde später trifft er sich vor dem Eingang zum Hochbunker mit Schupo Ruge wieder. Stave schnappt nach Luft.
    »Hätte nie geglaubt, dass ich mich jemals über diesen verdammten sibirischen Sturm freuen würde«, sagt er und schüttelt den Mantel aus. Er hat das Gefühl, als würde der Gestank nach Hoffnungslosigkeit und Herzensträgheit in seinen Kleidern hängen.
    Auch Ruge ist blass, ein wenig verschwitzt, müde. »Bunkermenschen«, keucht er, als würde das alles erklären.
    Der Oberinspektor nickt. In den Betonhöhlen stranden die Ausgestoßenen, die Antriebslosen, die Einsamen. Jeden, der noch ein wenig Kraft in sich spürt, treibt es nach einiger Zeit wieder hinaus. Der baut sich eher aus Pappe und Schutt einen Verschlag irgendwo zwischen Ruinen, als sich unter sechs Meter Stahlbeton lebendig begraben zu lassen.
    »Einen Alten habe ich gerade dabei erwischt«, berichtet Stave, »wie er im Verschlag seines schlafenden Nachbarn zwei Papierbilder von der Wand gerissen hat. Kinderzeichnungen. Als ich den Alten zur Rede stellte, sagte der nur, dass er alles hasst, was diesen Bunker schöner macht. Verrückt.«
    »Niemand will irgendetwas in den Ruinen gegenüber gesehen haben«, meldet Ruge. »Niemand will dort in letzter Zeit hingegangen sein. Niemand hat irgendetwas Verdächtiges bemerkt. Niemand kennt eine junge Frau. Am liebsten würde ich die ganze Bande verhaften.«
    »Die sitzen doch schon im Gefängnis«, entgegnet Stave müde und klopft gegen die Betonwand. »Mir hat auch niemand etwas Vernünftiges sagen können. Ich glaube ihnen. Hier kriecht tatsächlich kaum noch jemand vor die Tür.«
    »Sieht also so aus, als hätten wir keinen Zeugen, Herr Oberinspektor.«
    Inzwischen ist es später Vormittag. Stave ist hungrig und müde. Gut, denkt er, dass ich mal nicht zu Fuß gehen muss.
    Ruge lenkt den Mercedes an Schutthügeln vorbei, der schwere Wagen rumpelt durch Schlaglöcher. Stave muss sich festhalten, um nicht vom Sitz zu rutschen.
    »Entschuldigung«, nuschelt der junge Schupo, der sich verbissen aufs Fahren konzentriert. »Gleich wird es besser.«
    Tatsächlich sind in Altstadt und Neustadt einige große Straßen schon freigeräumt. Stave lehnt sich zurück und schließt die Augen, bis sie vor der Kripo-Zentrale anhalten.
    Das Hochhaus am Karl-Muck-Platz
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