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Trümmermörder

Trümmermörder

Titel: Trümmermörder
Autoren: C Rademacher
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Emailletasse.
    Breuer deutet auf ein Papier in einer Ablage seines Schreibtischs. »Die Zahlen des letzten Jahres«, sagt er. »1946 sind in Hamburg 29 Morde verübt worden, 629 Raubüberfälle, 21696 schwere Diebstähle und 61033 einfache Diebstähle. Genauer: Das sind die Verbrechen, die uns angezeigt worden sind. Dazu Vergewaltigungen, Körperverletzungen, Schmuggel aller Art. ›Kriminalität des Elends‹ nennt der Herr Staatsanwalt das, und ich befürchte, dass er recht hat. Außerdem befürchte ich, dass 1947 kein besseres Jahr werden wird, zumal in diesem Winter.«
    Stave nickt. Vor ein paar Tagen hat eine Streife zwei DPs mit schwarz geschlachtetem Fleisch erwischt. Die beiden Täter, ehemalige polnische Zwangsarbeiter, zogen Pistolen und schossen sofort. Ein Schupo starb, der andere liegt noch immer schwer verletzt im Krankenhaus. Sie haben später beide verhaftet, ein britisches Militärgericht hat die DPs zum Tode verurteilt. Sie warten jetzt auf ihre Hinrichtung.
    »Eine erwürgte, nackte Frau hatten wir bislang aber noch nicht«, fährt Breuer fort. Er klingt noch immer freundlich. »Das wird sich herumsprechen – als wenn wir nicht schon genug Sorgen hätten! Vereiste Wohnungen, kaum Strom, Hungerrationen. Kohlezüge, die in Schneewehen irgendwo blockiert sind. Oder die, wenn sie durchkommen, geplündert werden. Britische Offiziere, die die besten Villen der Stadt requiriert haben und Schilder aufstellen: ›Für Deutsche kein Zutritt!‹ Jeden Tag neue Flüchtlinge in der Stadt, aus der Ostzone, aus DP-Lagern. Entlassene Kriegsgefangene. Wo sollen wir die alle noch unterbringen? Wir können keine Häuser wieder aufbauen, bei dieser Kälte kann man nicht einmal Mörtel anrühren. Die Menschen hier sind zornig.«
    »Und da sie ihre Wut an niemandem sonst auslassen können, werden sie uns die Hölle heiß machen, wenn wir den Mörder nicht rasch finden«, wirft Stave ein.
    »Sie verstehen mich.« Breuer nickt zufrieden.
    Stave skizziert seinem Chef kurz den Fall: die junge, unbekannte Tote, die Ruinen, die spärlichen Zeugenaussagen.
    »Doktor Czrisini wird die Leiche öffnen?«, fragt Breuer.
    »Noch heute.«
    Breuer lehnt sich zurück und verschränkt die Arme hinter dem Kopf. Minutenlang schweigt er, doch Stave hat gelernt, nicht ungeduldig zu werden. Schließlich nickt der Kripochef, zündet sich eine Lucky Strike an und saugt genüsslich deren Rauch ein.
    »In Hamburg arbeiten 700 Krimsches«, sagt er schließlich und lässt dabei den Qualm zwischen den Lippen herausquellen. »Die meisten sind Anfänger, viele weitere Kollegen sind politisch vorbelastet.«
    Stave schweigt. Die meisten Polizisten standen schon vor 1933 ziemlich weit rechts, später arbeiteten allein bei der Hamburger Gestapo rund 200 Mann. Als die Briten kamen, haben sie mehr als die Hälfte aller höheren Beamten sofort entlassen. Ohne diese politische Säuberung hätte Breuer niemals den Chefsessel bekommen – und auch er, Stave, hätte keine Karriere mehr gemacht. So etwas macht einen bei den nicht entlassenen, älteren Kollegen, die der Aktion der Briten oft nur haarscharf entgangen waren, nicht gerade beliebt.
    »Eine Tote, von der wir nicht einmal den Namen wissen. Eine nackte, junge Frau. Ein Verbrecher, der selbst in dieser schwersten Stunde nicht aus Not zuschlägt, sondern weil ihn offenbar ein abscheulicher Trieb dazu zwingt. Ein Mörder, von dem wir keine Spur haben. Eine Stadt, die von uns rasche Arbeit verlangt«, fährt Breuer fort und klingt dabei fast verträumt. »Ein mieser Job ist das, Stave. Da kann ich keinen Anfänger dransetzen. Und keiner der älteren Kollegen reißt sich um diesen Fall.«
    Also gibst du ihn mir, weil ich sowieso schon unbeliebt bin, denkt Stave, sagt aber laut: »Ich werde ihn übernehmen, Chef.«
    »Gut. Sprechen Sie Englisch?«
    Stave sitzt plötzlich gerade im Stuhl. »Ein wenig. Nicht gut, fürchte ich.«
    »Schade«, sagt Breuer, dann leichthin: »Macht nichts. Ihr Mann hat, so habe ich gehört, hervorragende Deutschkenntnisse.«
    »Mein Mann?«
    »Die Briten werden bei den Ermittlungen einen Verbindungsoffizier abstellen.«
    »Scheiße«, entfährt es Stave.
    »Wegen der besonderen politischen und massenpsychologischen Sensibilität des Falles«, fährt sein Chef ungerührt fort. »Sie haben darum ersucht. Außerdem beordere ich einen Kollegen von der Sitte ab, der mit Ihnen arbeiten soll. Selbstverständlich unter Ihrer Führung.«
    »Der Sitte?«
    »Die Tote ist nackt«, erinnert
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