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Trümmermörder

Trümmermörder

Titel: Trümmermörder
Autoren: C Rademacher
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zuvor Derartiges wagen können – das Mathias-Stift wurde erst vor wenigen Tagen wieder bezogen. Stave notiert sich die Namen der Buben, dann schickt er sie ins Stift zurück.
    »Verdammtes Pech, dass die so neu hier sind«, murmelt er in Richtung des Pathologen, der beobachtet, wie zwei Leichenträger die Tote auf eine Bahre heben.
    »Also haben Sie doch keine Zeugen dafür, dass die Unbekannte erst letzte Nacht hier abgelegt worden ist. Sie sind auf meine Ergebnisse angewiesen.« Doktor Czrisini stellt dies nüchtern fest, trotzdem klingt er dabei irgendwie triumphierend.
    Stave wirft dem Kollegen der Spurensicherung einen fragenden Blick zu. Der schleicht in immer größer werdenden Kreisen um den Fundort.
    »Nichts«, ruft ihm der Fotograf und Spurensicherer zu. »Kein Kleidungsstück, keine Zigarettenkippe, keine Fuß- oder Fingerabdrücke und schon gar kein Draht. Aber wir kämmen noch das ganze Ruinenfeld durch.«
    In diesem Moment stolpert Ruge über die Schuttberge, ein wenig außer Atem. »Diese verdammten Ärzte im Marienkrankenhaus …«, beginnt er.
    »Ersparen Sie es mir«, sagt Stave und winkt müde ab. »Haben Sie mit der Zentrale telefoniert oder nicht?«
    »Ja, nach einigen Diskussionen.« Die Stimme des jungen Polizisten klingt noch immer empört.
    »Und?«
    Der Schupo schaut ihn einen Moment lang erstaunt an, dann begreift er. »Wir, das heißt, Sie sollen sich, sobald Sie mit der Arbeit hier fertig sind, sofort bei Herrn Breuer melden.«
    Stave schweigt. Carl »Cuddel« Breuer ist seit einem Jahr Leiter der Kriminalpolizei. Sechsundvierzig Jahre alt war er, als ihn die Briten einsetzten, reichlich jung für diesen Posten. Er galt in der braunen Zeit als Sozialdemokrat, verschwand 1933 sogar für einige Zeit im KZ Fuhlsbüttel, danach ließ man ihn in Ruhe. Ein Mann, der seinen Laden von Nazis säubert und zugleich die Beamten auf Präzision und Professionalität einschwört. Stave fragt sich, warum ihn Cuddel gleich zu Beginn der Ermittlungsarbeiten einbestellt, das sieht ihm nicht ähnlich. Muss was Großes sein, denkt er. Aber was? Laut sagt er nur zu Ruge: »Wir sehen uns noch etwas um. Danach fahren wir zur Zentrale.«
    Der Oberinspektor dreht sich langsam um die eigene Achse: Ruinen, wohin er auch blickt. Nur jenseits der Bahnlinie, etliche hundert Meter entfernt, im grauen Morgenlicht kaum auszumachen, ein Würfel aus Beton. Der Hochbunker von Eilbek. Ein sieben Geschosse hoher Monolith, die Wände bis zu sechs Meter dick. Fast sieben Dutzend Hochbunker haben die Nazis im Krieg erbauen lassen, für Zehntausende der einzige Schutz vor dem Bombenhagel. Nun sind die fast unzerstörbaren, fensterlosen Festungen Notunterkünfte für Ausgebombte, Flüchtlinge, Gestrandete. Niemand weiß genau, wie viele Menschen dort hausen, in stickiger Luft, in Enge, Lärm, Schmutz und Gestank.
    »Aus den Fenstern wird niemand was beobachtet haben, das ist mal sicher«, brummt der Schupo, als er dem Blick Staves mit den Augen folgt.
    »Wenn ich in dieser Grotte wohnen müsste«, sagt der Oberinspektor, »dann würde ich mich dort nur zum Schlafen verkriechen und den Rest der Zeit frische Luft atmen, selbst bei diesen Temperaturen.«
    Ruge ahnt, was der Oberinspektor als Nächstes vorhat. »Wir können bis fast vor den Klotz fahren«, antwortet er wenig begeistert.
    »Gut«, sagt Stave. »Hören wir uns bei den Bunkermenschen um.«
    Zurück durch die Trümmer und über die Bahngleise, dann im Wagen vorsichtig die verwüsteten Straßen entlangfahrend: Sie brauchen beinahe eine Viertelstunde, bis sie über das Kopfstein der winzigen Von-Hein-Straße rumpeln, die von dem Klotz des Bunkers fast erdrückt zu werden scheint. Stave steigt aus dem Mercedes und sieht sich um. Ruinen neben dem Hochbunker, direkt gegenüber zwei wundersamerweise unzerstörte, barackengroße Autowerkstätten, verrammelt, da es keine Autos zu reparieren gibt. Hinter den Werkstätten ein schmaler Park an einem Bach, die meisten Bäume bis auf den Stumpf verbrannt oder von Holzsammlern kleingeschlagen.
    Der Nordostwind bläst ihm ins Gesicht. Ein Einbeiniger wankt auf Krücken gegen den Sturm an, verschwindet im Bunker. Stave folgt ihm. Der Zugang ist ein gemauerter Verschlag neben dem Betonquader, an der Stahltür flattert noch die Verordnung zum Verhalten bei Fliegeralarm. Innen eine Stahlwendeltreppe und Luft wie in einem U-Boot: schwer, abgestanden, feucht. Wasser rinnt am rissigen Beton herunter. Der Gestank nach Schweiß,
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