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Trümmermörder

Trümmermörder

Titel: Trümmermörder
Autoren: C Rademacher
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hört sich anders an als die üblichen Messerstechereien unter Schwarzhändlern oder Eifersuchtsdramen um Kriegsheimkehrer.
    Ruge biegt links in die Straße Landwehr ein. Schließlich hält er vor den Trümmern der quer laufenden Bahnlinie.
    Stave steigt aus und blickt sich um. Ihn fröstelt. »Das Marienkrankenhaus ist nicht weit«, sagt er. »Die müssen ein Telefon haben. Da werden Sie Meldung erstatten, nachdem Sie mich zum Fundort geführt haben.«
    Ruge schlägt die Hacken zusammen. Eine junge Frau, die mit einem Handkarren einen zerfetzten Baumstumpf hinter sich her zieht, starrt die beiden misstrauisch an. Stave sieht, dass ihre Finger vor Kälte angeschwollen sind. Als sie seinen Blick bemerkt, packt sie den Karren und zieht ihn hastig davon.
    Stave und Ruge klettern über die Bahngleise: Schotter, die Steine vom Eis zu großen Klumpen verklebt. Zerbombte Schienen wie bizarre Skulpturen. Dahinter die Baustraße, zu erahnen allenfalls als Begrenzungslinie von ausgeglühten, dachlosen Mietskasernen, deren schwarze Wände sich Hunderte Meter weit erstrecken. Noch immer, nach so vielen Monaten, stinkt es bitter nach verbranntem Holz und Stoff.
    Zwei Schupos, die vor Kälte mit den Füßen stampfen und die Hände zusammenschlagen, stehen vor einer schiefen Mauer, drei Stockwerke hoch, die aussieht, als könne sie beim leisesten Husten einstürzen und die Polizisten erschlagen.
    Stave ruft nicht, hebt nur die Hand zum Gruß. Vorsichtig steigt er durch den Schutt. Immerhin muss er sich hier nicht bemühen, sein Hinken zu überspielen. Kein gerader Schritt möglich, nirgends.
    Einer der beiden Schupos grüßt mit der Rechten am Tschako, deutet mit der Linken zur Seite. »Die Tote liegt vor der Wand.«
    Staves Blick folgt der ausgestreckten Hand des Beamten. »Hässliche Sache«, murmelt er.

Die namenlose Tote
    Eine junge Frau, Stave schätzt sie auf achtzehn bis zweiundzwanzig Jahre, 1,60 Meter groß, mittelblonde, halblange Haare, blau die ins Nichts starrenden Augen.
    »Hübsch«, murmelt Ruge, der neben ihn getreten ist.
    Stave starrt den Schupo an, bis der sich windet. Dann blickt der Kripo-Mann wieder auf die Tote. Sinnlos, den jungen Kollegen in Verlegenheit zu bringen, der will nur seine Angst verbergen.
    »Gehen Sie zum Krankenhaus und erstatten Sie Meldung«, befiehlt er. Dann beugt sich Stave zur Toten hinunter, darauf bedacht, ihren Körper nicht zu berühren und auch den Schutt nicht, auf dem sie liegt wie auf einem Bett.
    Wie inszeniert, fällt Stave unwillkürlich ein. Gleichzeitig gut versteckt, verborgen von der Mauer und einigen höheren Ziegelhaufen ringsum. Ihr Körper, soweit er ihn betrachten kann, ist fast unverletzt, nicht einmal Kratzer oder Blutergüsse, die Hände makellos. Sie hat sich nicht gewehrt, denkt er. Und: Keine Arbeitshände. Keine Trümmerfrau, niemand, der viel geputzt hat, keine Arbeiterin.
    Langsam wandert sein Blick an ihrem Körper hinunter. Flacher Bauch, rechts ein Strich: eine alte, gut verheilte Blinddarmoperation. Stave holt seinen Block heraus und macht sich eine Notiz. Nur am Hals der Toten findet er eine Spur, eine dunkelrote Linie auf blasser Haut, kaum drei Millimeter dünn, in Höhe des Kehlkopfes einmal rund um den Hals, links stärker ausgeprägt als rechts.
    »Sieht so aus, als sei sie erwürgt worden. Vielleicht mit einer dünnen Schlinge«, sagt Stave zu den beiden fröstelnden Schupos, während er die Beobachtung in seinen Block kritzelt. »Sehen Sie, ob Sie in der Umgebung Draht finden. Oder ein Kabel.«
    Die beiden stöbern missmutig zwischen den Ruinen herum. So ist Stave sie vorläufig los. Er glaubt selbst nicht, dass die beiden Beamten etwas finden werden. Dunkle Striche im Raureif, die leider teilweise von den unaufmerksamen Polizisten zertrampelt wurden, deuten auf Schleifspuren hin. Wahrscheinlich hat der Täter sein Opfer hierhin gezogen, nachdem er die Frau anderswo ermordet hatte.
    »Schöne Leiche«, sagt jemand in seinem Rücken. Die rasselnde Stimme eines Kettenrauchers. Stave muss sich nicht umdrehen, um zu wissen, wer da hinter ihn getreten ist.
    »Guten Morgen, Doktor Czrisini«, sagt er und erhebt sich. »Gut, dass Sie so schnell gekommen sind.«
    Doktor Alfred Czrisini – klein, kahl, die dunklen Augen groß hinter einer runden Hornbrille – macht sich nicht die Mühe, zum Sprechen die glimmende britische Woodbine-Zigarette aus seinem bläulichen Mund zu nehmen. »Wie es aussieht, hätte ich mich nicht beeilen müssen«, nuschelt
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