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Tropfen im Ozean

Tropfen im Ozean

Titel: Tropfen im Ozean
Autoren: Subina Giuletti
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worden? Aber es war keiner zu sehen, alles war still. Ich hatte keine Ahnung, wie lang die Allee war, die bis zum Haus führte. Doch bevor ich überhaupt nachdenken konnte, war ich durch das Riesentor geschlüpft und lief am Rande der Bäume den Weg entlang, hoffend, dass niemand mich sah und vor allem, dass das Tor noch offen war, wenn ich wieder zurückkam. Ich sah auf meine Uhr. Es war kurz nach zwölf. Wahrscheinlich machten die Gärtner Mittagspause – damit hätte ich eine volle Stunde. Der Plan war, so schnell wie möglich bis zu dem Haus vorzudringen, mir das anzuschauen und wieder zurückzueilen.
    Aber das mit dem schnell Vordringen war dann so eine Sache. Nach einer Biegung veränderte sich das landschaftliche Bild. Rechts und links lichtete sich das Waldstück, durch das der Weg führte, und machte riesigen Parkflächen Platz, auf der einzelne, mächtige Solitärbäume standen, die deren Weite noch mehr unterstrichen. Und jede Ecke war ein Refugium für sich. Um den Stamm einer enorm großen, ausladenden Rotbuche war eine Bank gewunden, dort eine Ansammlung von großen Felsblöcken, die mit Moos bewachsen waren, weiter hinten stand eine überdimensionale Engelsstatue, die wie ein Wächter über dem Areal thronte und ein großes steinernes Buch in der Hand hielt. Ich konnte meine Neugier nicht bezähmen und lief, obwohl ich damit meine Deckung aufgab, auf die freie Rasenfläche zu ihr hin. Ein Text in Englisch war darauf verewigt:
     
    „Remember always, that you are here for no other reason
    than to be a saint.
    Thus, let nothing reign in your soul, that does not lead to sanctity”.
    St. John from the Cross 10
     
    Mein Herz setzte für einen Moment aus. Um dann heiß und wild zu klopfen, während Hoffnung es in Brand setzte. Aufgewühlt stand ich vor dem Engel, fühlte mich wie auf einem fernen Planeten, wie in Eden, am Ziel meiner Träume.
    Der ganze Weg war gespickt mit Statuen von Heiligen aus aller Welt und ihren Aussagen. Statt zielstrebig den Weg zum Haus entlangzulaufen, bewegte ich mich im Zickzack, staunend, verzückt – von einem Spruch zum nächsten. Ich traf auf Franz von Assisi, die Mutter Gottes, Buddha und Jesus, indische, jüdische und muslimische Heilige, deren Namen ich noch nie gehört hatte, und auf viele Inschriften, die in Stein gehauen und in den ungewöhnlichsten Darstellungen zu finden waren. Sie alle waren auf einer Fläche vereint und alle sagten das Gleiche aus in unterschiedlichen Worten. Worte, die ich las, verzaubert und berührt.
     
    „Du musst dich selbst befreien,
    entzifferte ich auf einem großen Stein, geformt wie eine Lotusblüte, darüber eine Kobra, deren breiter Kopf sich wie ein schützendes Dach über dieser erhob.
     
    ...es gibt keinen anderen Weg.
    Du bist dein eigener Freund
    Du bist dein eigener Feind“.
    Yoga Vasishta
     
    Die Parkflächen wichen wieder dichtem Wald, in dem der Weg die einzige Schneise bildete und ein paar Schritte weiter traf ich auf ein Fabelwesen, einen geflügelten Tiger, vor dessen großer Pranke stand:
     
    Tritt aus dem Kreislauf der Zeit
    In den Kreislauf der Liebe.
    Rumi
     
    An einen mächtigen Baum gelehnt stand eine wunderschöne, lebendig wirkende Elfe, ein geheimnisvolles Lächeln auf dem steinernen Gesicht und Libellenflügel auf dem Rücken, auf die eingemeißelt war:
     
    You are born of love, you live in love
    and you merge into love.
    You are born of joy, you live in joy
    And you merge into joy.
     
    Aus den Upanishaden
     
    Erst als ich eine Laterne fotografierte, die in einer Höhle hing, über der ein kleiner Wasserfall in einen Bach floss und deren Eingang von einem diabolisch grinsenden Kobold bewacht war, wurde mir bewusst, dass ich etwas absolut Verbotenes tat. Aber ich war so gefangen in der Magie dieses Grundstücks, gefangen in der Magie meiner Hoffnung, ja einer geradezu impertinenten Sicherheit, dass mir das egal war. Betört strich ich mit dem Finger über die herausstehenden Buchstaben:
     
    Über sich lachen kann man nur, wenn man sich nicht wichtig nimmt.
     
    All diesen Zitaten folgte ich wie Wegweisern, es ging stetig leicht bergauf, bis ich schließlich am Haus angelangt war. Von den oberen Stockwerken musste man Blick über große Teile der Landschaft haben. Eine gepflegte Parkanlage erstreckte sich zur einen Seite hin, vor der Haustür ein Ziergarten mit in Form geschnittenem Buchs, weißem, akkurat geharktem Kies, geschmackvoll gesetzten Statuen, Brunnen und Blumenbeeten, dahinter der dichte,
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