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Tropfen im Ozean

Tropfen im Ozean

Titel: Tropfen im Ozean
Autoren: Subina Giuletti
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ergriff mich wieder diese immense, tiefe Ruhe, die er ausstrahlte. Ich lehnte mich zurück und seufzte.
    „Geht es dir gut?“ fragte er.
    „Oh ja“,  antwortete ich mit Inbrunst. „Ich glaube, es ging mir schon lange nicht mehr so gut wie jetzt!“
    Er lachte leise und arrangierte den Zweig in der Vase etwas um, während er sich zwanglos neben mich setzte und seine Tasse in die Hand nahm.
    „Der Tee ist aus China“, erklärte er. „Diese kleinen Kügelchen sind kleine Wunder und vor allem geschmackvoll.“
    „Welche Kügelchen?“ fragte ich verständnislos.
    „Die Teekügelchen“, antwortete er. Sacht stellte er seine Tasse zurück, hob den Deckel der Teekanne und ließ  mich hineinschauen.
    Vollendet geformte weiße Blüten trieben auf der Oberfläche des Wassers. Dann stand er auf, ging hinter die dichte Baumgruppe und kam mit einer reich verzierten Teedose zurück. Geräuschlos setzte er sich neben mich, während er die Dose öffnete und einige zu erbsengroßen Kugeln gerollte Teeblätter in seine Hand schüttete.
    „Schau mal“, sagte er, „das ist der Originalzustand. Wenn du heißes Wasser darauf gießt, entfalten sich die Kugeln und werden zu kleinen Blüten.“
    „Wow“, sagte ich, „das ist... schön! Woher haben Sie denn so was?“
    „Du“, verbesserte er. Sein Lächeln war charmant, machte ihn attraktiv und alterslos. „Aus China“, wiederholte er dann unbekümmert und schloss das Behältnis wieder. „Mit den Menschen ist es oft ebenso, findest du nicht? Erst wenn man ihnen ein bisschen Wärme zuführt, entfalten sie sich.“
    Er stellte die reich verzierte Dose neben die Vase auf den Tisch und vervollständigte damit das fantastische Arrangement: die filigranen grün-goldenen Malereien auf cremefarbenem hauchdünnem Porzellan, die grazile Komposition des Apfelzweiges aus weißen Blüten und Grün daneben. Einige Augenblicke war ich versunken in dieses überaus schöne Bild. Mir fiel nicht ein zu fragen, wie er denn an Teekugeln aus China komme, noch ging ich auf seine Metapher ein. Ich habe vieles zu Beginn einfach nicht gehört.
    Stattdessen wandte ich mich ihm mit leuchtenden Augen zu, als sei er ein Märchenonkel, der mir versprochen hatte, vor dem Zubettgehen noch eine Geschichte zu erzählen. Er sah mich an, heiter und liebevoll, und öffnete mit diesem Blick mein Herz. Dann lehnte er sich zurück.
    „So – und nu“, sagte er. „Bist du denn heute bereit, von dir zu erzählen?“
    „Ja“, sagte ich. „Bin ich. Ich erzähle dir alles“.
    Und das tat ich.
     

Suche
     
    Es war ein strahlender, sonniger Morgen, als ich meinen Master in Empfang nahm. Alle Studenten hatten sich nach der offiziellen Zeugnisübergabe auf dem Campus versammelt und redeten befreit und glücklich durcheinander. Wir fielen uns in die Arme, versicherten uns, wie toll es war, endlich von Paukerei und Theorie in das wirkliche Leben eintauchen zu können. Viele hatten bereits Anstellungen bei Sendern oder Verlagen, manche, wie ich, waren noch auf der Suche.
    Ich war damals knapp 30, ich weiß, nicht das typische Abschlussalter, dafür ist aber sonst alles an mir sehr gewöhnlich: weiblich, Single, braunes Haar, braune Augen. Ich sehe nicht schlecht, aber auch nicht wirklich gut aus. So ist auch mein Leben. Nicht wirklich schlecht, nicht wirklich gut. Ich meine, mir geht es ganz gut, bis auf die üblichen Katastrophen und das ständige Gefühl, das mir etwas eminent Wichtiges fehlt. Und damit meine ich nicht Sex oder einen Mann. Natürlich wäre es schön, wenn es jemanden gäbe, ich glaube aber nicht, dass das ein Allheilmittel gegen dieses unerfüllte Etwas ist, das ich ständig in mir fühle. Das war mir damals aber nicht klar.
    Dennoch hab ich mich oft und immer wieder gefragt, wer ich eigentlich bin. Das weiß ich bis heute nicht so genau. Alle anderen sind immer so sicher, wen oder was sie darstellen wollen und tun es einfach. Diese Sicherheit geht mir gänzlich ab. Ich bin das Chamäleon. Ich passe meine Farbe der jeweiligen Umgebung an. Mimese beherrsche ich bis zur Perfektion. Der Farbwechsel dient den Chamäleons übrigens in erster Linie nicht der Tarnung, sondern vor allem der Kommunikation mit Artgenossen. Ich komme mit jedem klar, errate dessen Bedürfnisse und kann mich auf jeden einstellen. Ich spüre, was andere mögen.
    Und so kam ich auch prima mit meinen Kommilitonen aus, wobei Tarnung ja auch den Nachtteil hat, dass man irgendwie verschwindet, daher weiß ich nicht, ob sie mich
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