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Tropfen im Ozean

Tropfen im Ozean

Titel: Tropfen im Ozean
Autoren: Subina Giuletti
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gesunde Wald.
    Die Seite, die nach Westen wies, bot Blick auf einen großen Teich, auf dem rosa, weiße und lilafarbene Seerosen schwammen und inmitten dieses Teiches befand sich ein Pool, dessen hellblaues Wasser einen atemberaubenden Kontrast zur dunkleren Farbe des Teiches bildete. Dahinter war ein Barbecuehäuschen mit großer Holzterrasse zu sehen und im umgebenden Grünbereich standen verteilt riesige flache Feuerschalen, befestigt an jeweils drei dicken Bambusstäben, die nach oben zusammen liefen. Und Blumen gab es hier! Azaleen, Rhododendren, Rosen, Forsythien,  Hortensien, Apfel-und Mandelbüten, Zierkirschen und Pflaumen, deren rosa Blütenblätter auf dem Boden verstreut lagen – es war ein Zauber, dessen Fülle ich unfähig war, zu erfassen.
    Ich hatte nicht gewusst, dass Schönheit so weh tun konnte – und diese Umgebung war so unglaublich magisch allein durch die Natur, durch diese Pflanzen und die menschliche Hand, die Gottes Gaben so wunderbar geformt hatte. Mir stockte der Atem bei jeder neuen Entdeckung und ich lief teilweise mit der Hand vor dem Mund durch das Gelände, völlig vergessend, dass ich hier Hausfriedensbruch beging.
    Inmitten all dieser natürlichen Pracht stand das monumentale Glashaus, nicht nur in diese wunderschöne Landschaft eingebettet, sondern sie durch die vielen Glasfronten widerspiegelnd und aufnehmend. Das Verhältnis zwischen Mauerfläche und Glas war ausgezirkelt und es hieß, der Besitzer hätte alte Steine von Schlössern kommen und verarbeiten lassen. Die Kombination von Naturstein und Glas jedenfalls war ein Meisterwerk.
    Ich konnte in ein weitläufiges Wohnzimmer sehen, das nur an zweieinhalb Seiten Wände aufwies, alles andere war transparent. Wenn man in den großen Sesseln vor den bodenlangen Fenstern saß, musste man den Eindruck haben, draußen im Garten zu sitzen. Selbst das Dach war teilweise aus Glas. Wie musste das sein, wenn es regnete? Das Wasser plätscherte aufs Dach, man saß im Trockenen vor dem Kamin und dennoch inmitten dieser Blütenpracht. Sprachlos umrundete ich das Haus, blickte in Fenster, sah die geschmackvoll in Holz, Lack und Edelstahl gehaltene große Küche, eine moderne Essecke mit ledergepolsterten Bänken und großen kuscheligen Kissen, den Ansatz einer Bibliothek. Allein sein oder Feste feiern, egal welches Wetter, welche Jahreszeit... alles musste hier ein Erlebnis sein. An der letzten Seite entdeckte ich Gemüse- und Kräutergärten, weiter hinten sah ich Treibhäuser und in der Ferne bestellte Äcker. Gehörte das alles dazu? All das Land? Hier war man autark.
    Ein Wildentenpärchen kam herangeflogen, das Männchen mit seinen schillernden Farben setzte elegant auf dem Teich auf, das Weibchen gesellte sich an seine Seite. Automatisch zückte ich mein Handy, um ein Foto zu machen und sah dabei auf die Uhr.
    Zehn vor eins. Ich musste gehen. Ich wollte nicht gehen. Ich stand inmitten all dieser Pracht, fühlte die überirdische Schönheit der Natur, verschmolz mit ihr, war Teil dieser wunderbaren Welt.
     
    Und auf einmal verstand ich vollständig, warum WOM an meinem Namen nicht interessiert gewesen war. Name war Identität. Identität mit dem Ego, nicht mit diesem Großen in uns. Wir waren die Welle oder der Tropfen und trotzdem vereint mit dem Ozean. Das Eine schloss das Andere nicht aus. Es war nur wichtig, zu wissen, es gab keinen Unterschied zwischen dem Ozean und dem Tropfen - letzteres war lediglich eine momentane Erscheinungsform, die ohne Ozean gar nicht existieren würde. Letztendlich kam jeder Tropfen wieder zurück, auch, wenn er unterschiedliche Erfahrungen in unterschiedlichen Aggregatszuständen durchmachte. Und die Trennung war nichts weiter als ein schmerzhafter Gedanke, einer, den man loswerden konnte. Und je mehr diese Trennung schwand, desto mehr konnte ich mich dem Leben überlassen, weil ich vertraute. Es ging darum, sich mit dem Ozean zu identifizieren, der Instanz in uns, mit dem, was sich nie ändert und doch unendlich viele Erscheinungsformen hat.
    Friedvoll setze ich mich auf eine Bank und schloss die Augen. Nach einer Zeit zog ein Hauch nach Vanille und Wald in meine Nase. Ich spürte eine leichte Bewegung neben mir und lächelte glücklich, tastete nach der schönen, weichen, mit Altersflecken besprenkelten Hand.
    „Und?“ fragte er. „Gefällt es dir hier? Jetzt weißt du ja, wer ich bin“. 
    „Ist das wichtig?“ fragte ich.
    „Nein“, lächelte er. „Es ist nicht wichtig. Ganz und gar
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