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Triestiner Morgen

Triestiner Morgen

Titel: Triestiner Morgen
Autoren: Edith Kneifl
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Aber ich bin genauso davon überzeugt wie Italo Svevo, daß meine letzte Zigarette heimlich weiterbrennen wird«, fügt er leise hinzu.
    »Man sagt, die letzte Zigarette gleicht einer Selbstkastration«, wirft Bruno ein.
    Lachend zerknüllt Enrico das Päckchen samt Inhalt und raucht wieder einmal seine letzte Zigarette.
    Bruno stürzt aus dem Zimmer. Keine Minute zu früh, Enrico stolpert gerade die Treppe hoch. Er scheint den Hotelbesitzer, der mit seinen Kleidern und der Filmkamera unter dem Arm rasch ins Nebenzimmer flüchtet, nicht bemerkt zu haben.
    Mir kommt die Galle hoch. Zuerst kotze ich nur weißen, milchigen Schleim ins Kissen. Erst als sich das Kissen gelb verfärbt, beruhigt sich mein Magen wieder.
    Enrico nähert sich dem Bett. Ich rühre mich nicht, hoffe, daß er mich für bewußtlos hält. Der Gestank meiner Innereien raubt mir den Atem. Gleich werde ich wirklich in Ohnmacht fallen.
    Als er sich über mich beugt und sein Mund meine blutenden Lippen streift, kitzeln seine Bartstoppeln meine Wangen.
    Ich schlage die Augen auf, schließe sie aber sofort wieder. Enricos verstörter Gesichtsausdruck jagt mir Angst ein.
    Er scheint außer sich vor Zorn. Mit starrem Blick und wutverzerrtem Mund hebt er die Weinflasche vom Boden auf, entkorkt sie mit seinem Messer, nimmt einen Schluck und zerschlägt sie dann auf dem Messinggestell.
    Die Flasche zerspringt in tausend Stücke, verspritzt ihren Inhalt über die Matratze. Der Rotwein hinterläßt häßliche, dunkle Flecken auf dem Laken. Gemächlich tropft er auf den schmutzigen Teppichboden. Mit bloßer Hand entfernt Enrico die Glassplitter vom Bett. Er schneidet sich am abgebrochenen Flaschenhals. Sein Blut vermischt sich mit Alkohol und tränkt das Bettzeug. Er wischt seine Finger mit dem schmutzigen Handtuch ab. Seine Bewegungen sind langsam, beinahe mechanisch.
    Erleichtert, daß er seinen ersten Zorn an der unschuldigen Flasche ausgelassen hat, wage ich ihn anzusprechen: »Enrico, mein Liebling, mein Liebster«, flüstere ich kaum hörbar.
    Die Wut scheint ihm die Sprache geraubt zu haben. Schweigend bindet er mich los, wirft das beschmutzte Kissen auf den Boden und dreht mich um.
    Bei jeder Berührung stöhne ich vor Schmerz. Ich halte es nicht aus, auf meinem geschundenen Rücken zu liegen, und versuche, mich wieder umzudrehen. Aber ich kann Arme und Beine nicht bewegen, ich spüre sie nicht mehr. Kopf und Schultern in Richtung Knie gebeugt, die Unterschenkel halb angezogen, sehe ich aus wie ein Fragezeichen.
    Enrico setzt sich neben mich aufs Bett, zündet sich eine Zigarette an und sieht schweigend zu, wie ich mich bemühe, meinen verunstalteten Körper mit dem stinkenden Laken zu bedecken.
    Die Angst gebietet auch mir zu schweigen. Jedes weitere Wort würde ihn womöglich noch mehr in Rage bringen.
    Ich lege meine Arme um seine Hüften. Er versucht, sich mir zu entziehen, aber ich umklammere ihn noch fester, vergrabe meinen Kopf zwischen seinen Schenkeln und wische meine blutigen Lippen am rauhen Stoff seiner Hose ab.
    Er schlägt mich nicht, beschimpft mich nicht und spuckt mir auch nicht ins Gesicht, sondern sitzt einfach nur neben mir und streichelt zärtlich meinen mißhandelten Körper. Als seine Finger meine geschwollenen Backen streifen, stöhne ich leise.
    Enrico tritt seine Zigarette auf dem Teppich aus, tupft mit dem Handtuch meine Augen ab und wischt auch das Blut von meinem Rücken und meinen Beinen.
    Mein Stöhnen wird lauter, nur mühsam halte ich die Tränen zurück.
    Plötzlich spüre ich seine Hand nicht mehr. Zaghaft öffne ich die Augen und sehe, wie er mit meinem Strumpf spielt, ihn glattstreicht und ihn, beinahe liebevoll, um meinen Hals legt, so als wolle er die häßlichen roten Kratzer, die Brunos dreckige Fingernägel dort hinterlassen haben, bedecken.
    Er macht einen Knoten in den Strumpf, zieht ihn ganz sanft zusammen, schaut mir tief in die Augen und zieht eine Spur fester an den Enden.
    Ich öffne den Mund, bringe aber keinen Ton mehr heraus. Meine Zunge schiebt sich zwischen die geöffneten Lippen, mein Mund formt sich zu einem schiefen Lächeln, und lächelnd schlafe ich ein.

»Ohne ein Wort bist du gegangen, ohne Tränen;
    soll ich darüber traurig sein?
    Du weintest nicht, weil du so viel hattest
,
    so viele Küsse mir zu geben
.
    Man sagt, die wahre Liebe dauert
    ein Leben und länger ...«
    U MBERTO S ABA:
Der Abschied
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