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Triestiner Morgen

Triestiner Morgen

Titel: Triestiner Morgen
Autoren: Edith Kneifl
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bemerkt. Aber bei ihr sieht es gut aus. Wenn sie geht, schwingen ihre breiten Hüften sanft unter der viel zu schmalen Taille – oder ist es die Taille, die die Hüften zu breit erscheinen läßt? Genaugenommen sind alle ihre Körperteile fehlerhaft, doch ihm erscheinen sie perfekt. Und ihre Ausstrahlung ist einfach faszinierend, nimmt ihn gefangen.
    In Gedanken vergleicht er sie mit Gina. Auch Gina wäre heute über Vierzig. Obwohl die schöne Fremde auch als Dreißigjährige durchgehen würde, sieht man aus der Nähe doch die vielen Falten um ihre Augen und ihren Mund. Sie hat sich sehr sorgfältig geschminkt. Enrico ist überzeugt, daß ihm ihr Gesicht ungeschminkt noch viel besser gefallen würde.
    Ihr Körper wirkt fest und jugendlich. Wer weiß, ob Ginas Körper heute noch in so guter Form wäre. Hat sie nicht schon als Zwanzigjährige Unmengen von Süßigkeiten in sich hineingestopft? Sie war gierig und unmäßig in allem, was sie tat. Vielleicht wäre sie inzwischen genauso aus dem Leim gegangen wie Ljublianka, eine unförmige Matrone, die üppigen Formen eingezwängt in einem wattierten, rosa Morgenmantel ...
    Die Frau neben ihm zieht ihre Kostümjacke aus. Vielversprechende Brüste spannen sich aufreizend unter der weißen Seidenbluse, die ihr offensichtlich eine Nummer zu klein ist.
    Enricos Augen wandern sofort zu ihrem Busen. Er vergleicht ihn mit Ginas schweren Brüsten, und auch dieser Vergleich fällt zu Gunsten der Fremden aus.
    Gina hatte ihn oft scherzhaft ›Busenfetischist‹ genannt. Auch im Gefängnis war er anfangs beim Anblick der vollbusigen Pin-ups an den Zellenwänden in Erregung geraten. In den letzten Jahren machte ihm sein Sexualtrieb weniger zu schaffen. Aber beim Anblick dieser vollen, runden Brüste wird ihm bewußt, daß ihn die Gnade der Impotenz noch nicht ereilt hat. Er malt sich aus, wie er sie von dieser unverschämt weißen Bluse und dem mit Spitzen besetzten BH befreit, seine Zunge über ihren schlanken Hals gleiten läßt, mit seinen rauhen Händen ihre Brüste sanft umfängt, sie streichelt und mit seinen Lippen liebkost, zärtlich hineinbeißt in dieses saftige Fleisch. Er ist plötzlich wie besessen von dieser Vorstellung.
    Es ist so lange, so unvorstellbar lange her, seit er zuletzt den Körper einer Frau berührte.
    Er stellt sie sich nackt vor. Fast kann er ihr warmes, wogendes Fleisch vor sich sehen, spüren, wie es sich auf seinem reibt, während ihre Augen in seine sehen. Zuerst neugierig, dann erregt und zum Schluß wie in Trance, verzückt und ekstatisch.
    Es ist ihr keineswegs unangenehm, daß er dauernd auf ihren Busen starrt. Dieser drahtige, ältere Herr mit den harten Gesichtszügen und den traurigen Augen übt eine eigenartige Anziehungskraft auf sie aus. Die lange Liste ihrer Liebhaber weist noch keinen Mörder auf. Sie schimpft sich selbst morbid und pervers.
    Aber vielleicht ist er gar kein Mörder? Sie versucht sich auszumalen, wie er diese andere Frau umgebracht hat, ›erdrosselt‹ stand in den Zeitungsberichten –, aber es will ihr nicht so recht gelingen, sich ihn als ›sadistische und mörderische Bestie‹ vorzustellen. Schließlich bricht sie das lange Schweigen und fragt ihn, wohin er fahren wird.
    »Ich weiß es nicht, irgendwohin, wahrscheinlich in den Süden. Diese Stadt birgt zu viele traurige Erinnerungen für mich.«
    »Warum kommen sie nicht mit mir nach Bosnien? Ich möchte eine Reportage über die Kriegsschauplätze machen. Kollegen haben mir erzählt, daß sich das tägliche Leben da unten teilweise normalisiert, vor allem die Städte erholen sich aber angeblich nur sehr langsam von den Schrecken des Krieges. Das Leben ist ruhiger geworden, doch nicht wirklich friedlich. – Ich könnte mir vorstellen, daß so ein zerstörtes Land der richtige Ort für einen Mann wie sie wäre.«
    »Für einen Mann, der nichts mehr zu verlieren hat ...?«
    »Die Zukunft liegt im Nebel. Trotzdem besteht eine gewisse Hoffnung ...«
    »Hoffnung in einem Land der Ruinen, inmitten der Gräber und des heimtückischen Terrors?«
    »Die Leute sind müde. Sie wollen kein Blut mehr sehen. Ihre Sehnsucht nach dem früheren Leben wächst von Tag zu Tag. Ich muß unbedingt hin, bevor wieder Langeweile und Normalität einkehren. Wir könnten zusammen den nächsten Zug nach Zagreb nehmen. Und dort werden wir dann weitersehen, vielleicht kommen wir sogar bis in den Kosovo durch. Wir müssen uns nur in Zagreb von der UNPROFOR eine Akkreditierung besorgen. Ich
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