Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Triestiner Morgen

Triestiner Morgen

Titel: Triestiner Morgen
Autoren: Edith Kneifl
Vom Netzwerk:
überzeugt, ihn zu kennen. Während er schweigend an seinem Wein nippt und sich den Kopf darüber zerbricht, wo und wann ihm dieser Mann schon einmal begegnet ist, bemüht sich der charmante Hotelbesitzer wieder vergeblich, die schöne blonde Frau für sich zu gewinnen.
    Sie ist nicht mehr an ihm interessiert, ist fasziniert von dem drahtigen, kleinen Mann mit den traurigen Augen.
    Schließlich fragt ihn Enrico, der schweigend ihrem Geplänkel gefolgt ist, nach seinem Namen. »Ich bilde mir ein, daß wir uns kennen ...«
    »Dieser Herr hat früher ein Bordell in der Nähe des Industriehafens besessen. Leider wurde es abgerissen, sonst hätte er es mir heute zu gerne gezeigt ...«, bemerkt sie grinsend.
    Enrico beachtet sie nicht weiter, er hat nur mehr Augen für den ehemaligen Hotelbesitzer, der sich, ein bißchen verärgert, gegen den Vorwurf wehrt, ein Bordell geführt zu haben.
    »Das ›Orient‹ war kein Puff, es war ein anständiges und hübsches, kleines Hotel. – Haben Sie es gekannt?« wendet er sich an Enrico, der ihn, seit der Name ›Orient‹ gefallen ist, anstarrt wie ein Gespenst.
    »Bruno Cecotti«, stellt sich der Weißhaarige höflich vor und reicht Enrico die Hand.
    Enrico zögert ein paar Sekunden, bevor er die ausgestreckte Hand ergreift und sie, ohne sich ebenfalls vorzustellen, heftig schüttelt.
    »Ja, natürlich habe ich das ›Orient‹ gekannt, ein sehr nettes Hotel, ich war sogar mal dort, muß 1973 gewesen sein«, erwidert er betont freundlich.
    »Ist gut möglich, es wurde erst 1982 abgerissen. Tut mir leid, daß ich mich nicht mehr an Sie erinnere.«
    »Wie sollten Sie auch, bei all den Gästen, die im Laufe der Jahre bei Ihnen abgestiegen sind«, unterbricht ihn Enrico schnell und bestellt noch eine Flasche Terrano. Er lädt den Hotelbesitzer ein, mit ihnen ein Gläschen zu trinken.
    »Bei einem guten Schluck kann ich nie nein sagen«, murmelt Bruno und es klingt fast wie eine Entschuldigung.
    Die Frau ist dem Gespräch der beiden Männer mit wachsendem Unbehagen gefolgt.
    Über den Lautsprecher wird gerade der Zug nach Zagreb angekündigt: »Der verspätete Schnellzug von Wien nach Zagabria fährt auf Bahnsteig drei, Gleis zwei ein.«
    Sie fordert Enrico auf, die Flasche Wein abzubestellen.
    »Unser Zug kommt. Wir müssen uns beeilen.«
    Er ignoriert sie, plaudert unbekümmert weiter mit seinem neuen Gast. Doch Bruno hört ihm nicht mehr zu, sondern bemüht sich jetzt, die schöne Fremde zurückzuhalten. Ein halbherziger Versuch, er weiß, wann er verloren hat.
    Sie reagiert auf seine schmeichelnden Worte mit einer ärgerlichen Handbewegung und wendet sich wieder an Enrico. »Was ist nun, kommen Sie mit oder nicht? Eine Flasche Wein und ein neuer Trinkkumpan, und schon ändern Sie Ihre Pläne?«
    Ihre Wangen haben sich vor Zorn gerötet. Sie winkt der Kellnerin, doch die übersieht geflissentlich ihre erhobene Hand.
    »Lassen Sie nur, das übernehmen wir«, sagt der Hotelbesitzer und schenkt Enrico einen auffordernden Blick.
    Enrico reagiert nicht.
    Sie steht auf, hängt sich Mantel und Fototasche um die Schulter und greift nach ihrem Koffer.
    Bruno nimmt ihr den Koffer aus der Hand. »Darf ich Sie wenigstens noch auf den Bahnsteig begleiten?«
    Enrico starrt in sein Glas.
    Mit einem abfälligen ›Männer‹ reißt sie dem Hotelbesitzer den Koffer aus der Hand und verläßt, ohne zu zahlen und ohne ihre Schulden bei der Ungarin zu begleichen, schnellen Schrittes das Café.
    Beide Männer starren ihr durch die große Fensterscheibe nach, bis sie in der Menge am Bahnsteig verschwindet.
    Die Kellnerin bringt eine Flasche Terrano und ein Glas für den neuen Gast.
    Enrico reißt ein frisches Päckchen auf, nimmt eine Zigarette raus und bietet auch Bruno eine an.
    Der ehemalige Hotelbesitzer lehnt jedoch dankend ab. »Ich habe nie verstanden, daß sich so viele Menschen mit dieser illusionären Befriedigung zufrieden geben«, bemerkt er verächtlich grinsend.
    »Auch ich versuche, mich dagegen zu wehren. Doch dieser süßliche Duft, dieser kurze Augenblick der Lust, bietet mir immer wieder einen Vorgeschmack des Himmels. Der Rauch meiner Zigarette ist die einzige Leidenschaft, die mir noch geblieben ist. Und ich wäre verrückt, wenn ich dieser letzten Leidenschaft tatsächlich entsagen würde. Meine allerletzte Zigarette werde ich erst auf dem Totenbett rauchen, falls mir dieses je vergönnt sein wird. – Wahrscheinlich werde ich eher den Henker um eine letzte Zigarette bitten müssen.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher