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Triestiner Morgen

Triestiner Morgen

Titel: Triestiner Morgen
Autoren: Edith Kneifl
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zwanzig Jahren.«
    »Und Sie haben sie umgebracht?«
    »Nein, aber ich wurde dafür verurteilt.«
    »Ein Opfer der Justiz?«
    »Ja.«
    »Wer hat es wirklich getan?«
    »Ich weiß es nicht, ich weiß nur, daß ich sie geliebt habe wie kein anderer, wahrscheinlich liebe ich sie noch immer.«
    »Und deshalb müssen Sie ihr nun ewig verpflichtet sein?«
    »Ich habe gedacht, sie liebe mich auch.«
    »Vielleicht hat diese Frau Sie geliebt, aber vielleicht haben ihr auch andere gefallen?«
    »Ein Mann hat ihr nicht genügt.«
    »Sie hat eben die Liebe genossen.« Ihre orangerot geschminkten Lippen formen sich zu einem Schmollmund.
    Gierig zieht sie an ihrer Zigarette, »Ich habe mich bemüht, sie zu verstehen. Männer versuchen immer vergeblich, Frauen zu verstehen.«
    »Tatsächlich? Vielleicht hat sie von Ihren Bemühungen nicht viel bemerkt. Sie scheinen es mit ihrer Treue sehr genau genommen zu haben.«
    »Mit meiner auch.«
    Sie lächelt und steckt sich noch eine Zigarette an, obwohl die andere rauchend im Aschenbecher liegt.
    »Ich habe mich umsonst bemüht. Sie hat nie begriffen, daß ein Mann ganz andere Sachen im Kopf hat als eine Frau.«
    »Und was hat ein Mann im Kopf?«
    Er schenkt sich nach, fragt aber dieses Mal nicht, ob sie auch noch Wein möchte.
    Sie bestellt sich ein Bier und schenkt ihm einen mißbilligenden Blick. »Vielleicht war sie eine eher oberflächliche Natur.«
    »Die Natur des Weibes ...«
    »Spotten Sie nur.«
    »Spott ist die Waffe der Schwachen. Aber Frauen sind nicht schwach, im Gegenteil ...«
    »Sondern leichtsinnig, heuchlerisch, triebhaft, narzißtisch und unmoralisch. Ich habe Freud aufmerksam gelesen«, unterbricht sie ihn lachend und streicht sich die Haare aus der Stirn.
    Enrico bleibt ernst. »Ich habe nie viel von Frauen gehalten. Warum habe ich mir ausgerechnet von ihr soviel versprochen?«
    »Vielleicht haben Sie gedacht, sie wäre anders als die anderen. Aber alle Frauen sind gleich, gleich schlecht, das haben wir doch gerade gehabt.«
    »Jedenfalls nicht wert, aufrichtig geliebt zu werden.«
    »Sie hat sich Ihrer Liebe nicht würdig erwiesen?«
    »Trotzdem habe ich viele Jahre um sie getrauert.«
    »So ist das nun einmal mit der Liebe, einer trauert immer.«
    »Meine Trauer ist zu spät gekommen. Heute bleibt mir nichts anderes mehr übrig, als meinen Kummer in Alkohol zu ertränken.«
    »Alkohol ist ein bewährtes Mittel gegen Liebeskummer.« Sie zwinkert dem Mann mit den traurigen Augen belustigt zu und nimmt einen großen Schluck von ihrem Bier.
    »Liebeskummer? Was für ein lächerliches Wort für meinen Schmerz!«
    »Diese Art von Schmerz ist nichts.«
    »Zwanzig Jahre meines Lebens verschwendet für nichts?«
    »Wieso sagen sie ›für nichts‹? Hat es nicht auch schöne Tage gegeben?«
    Er lacht, es ist ein bitteres Lachen, gibt ihr aber keine Antwort.
    »Ja, ja, die Liebe ist eine todernste Angelegenheit«, spottet sie.
    »Ich habe die Liebe immer ernstgenommen.«
    »Vielleicht fehlt es Ihnen an Humor.«
    »Eine komische Art von Humor.«
    »Lachen hat wohl nie zu Ihren Stärken gezählt?«
    »Meine Qualitäten sind wahrscheinlich anderer Natur.«
    »Womöglich sind sie ihr verborgen geblieben.«
    »Meine Geduld mit ihr war grenzenlos, ich habe alle ihre Eskapaden toleriert, aber meine Gutmütigkeit ist schlecht entlohnt worden.«
    »Vielleicht haben Sie die Dame gelangweilt, ernsthafte Menschen sind meistens langweilig.«
    »Ich werde Sie gleich von meiner Anwesenheit befreien, ich weiß, wann ich unerwünscht bin.«
    »So habe ich es nicht gemeint.«
    Er greift nach seinem Koffer, will aufstehen.
    Sie berührt sanft seinen Arm und bittet ihn sitzenzubleiben. »Reden Sie weiter, reden hilft immer. Es heißt nicht umsonst, daß man sich alles von der Seele reden soll.«
    Enrico schaut sie unsicher an, spricht aber dann tatsächlich weiter: »Längst habe ich meine zwecklose Einsamkeit durchschaut. Ich bin müde geworden, müde, mich nach ihr zu sehnen. Auf meiner Stirn zeichnen so viele Winter, alle Niederlagen scheinen mir auf einmal nichtig und klein. Nicht einmal Zorn und Haß halten die Erinnerung an jenen Tag vor zwanzig Jahren warm. Sie haben ein böses Spiel mit mir getrieben, aber vielleicht kann ich eines Tages sogar den feigen Verrat vergessen, und auch den verfluchten Haß, den ich in den Adern habe. Mein Haß ist so groß, wie meine Liebe war, und doch wird er verschwinden, verlorengehen in der schmerzlichen Gleichgültigkeit einsamer Nächte. Ich habe
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