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Triestiner Morgen

Triestiner Morgen

Titel: Triestiner Morgen
Autoren: Edith Kneifl
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Espresso und eine Flasche Refosco mit zwei Gläsern.
    Es will kein so rechtes Gespräch in Gang kommen. Sie macht ein paar belanglose Bemerkungen über das scheußliche Wetter und die Zugverspätungen. Enrico antwortet eher einsilbig, spricht fleißig dem Wein zu, leert bereits das zweite Glas, während ihr erstes noch halbvoll ist.
    Er wirkt schon ziemlich betrunken, als er plötzlich mit seiner leisen und sanften Stimme zu erzählen beginnt: »Hier, in diesem Café habe ich meine erste Zigarette geraucht und meinen ersten schwarzen Kaffee getrunken. Und in diesem Café habe ich an einem regnerischen Sommerabend vor zwanzig Jahren auch meinen letzten schwarzen Kaffee getrunken, jener letzte Kaffee, in dem sich der Löffel gedreht hat, während ich durch die schmutzigen Fensterscheiben auf die regennassen Bahnsteige gestarrt habe. In den frühen Morgenstunden haben sie mich abgeholt, mich in ihren gepanzerten Wagen gestoßen.« Er hält kurz inne, schließt die Augen und fährt dann mit kaum hörbarer Stimme fort: »Es ist so traurig, zwischen Erinnerungen zu leben, es macht so müde, Nacht für Nacht dem Gemurmel des feinen Regens zuzuhören, der die verlorene Zeit beklagt. Wo sind die alten, längst ergrauten Freunde geblieben? Und jenes schöne, rotblonde Mädchen, das ich einst geliebt habe? Ihre Augen waren blau, blau wie der Himmel und das Meer. Blau ist meine Lieblingsfarbe. Die Nächte waren blau, der Mond, die späten Stunden ... Sie erinnern mich an dieses Mädchen, das ich vor so vielen Jahren gekannt habe, sie wäre heute ungefähr so alt wie Sie. Ihr Gesicht, Ihr Körper, ja selbst Ihr Gang ist ihrem sehr ähnlich. Sie war meine große Liebe. Seit sie von mir gegangen ist, habe ich nie mehr eine Frau geliebt.«
    »Erzählen Sie mir mehr von ihr.«
    »Was soll ich Ihnen erzählen? Was geblieben ist, sind Schatten, nur noch Schatten ...«
    Sie öffnet den Mund, wie um etwas zu sagen, doch er spricht leise weiter: »Zwanzig Jahre sind nichts. Mein Leben ist völlig ereignislos verlaufen, ein quälendes, sich unendlich in die Länge ziehendes Warten, von einem Tag auf den anderen, zwischen kalten, grauen Mauern, ohne Licht, ohne Wärme. Schuld daran tragen falsche und gefährliche Freunde. Ja, sie allein tragen die Verantwortung für meinen elendigen Zustand.« Seine Stimme klingt jetzt scharf, beinahe schneidend, und in seinen traurigen, braunen Augen erscheint ein eigenartiger Glanz.
    Ihr ist plötzlich kalt. Ihre Hände zittern. Sie legt sich ihren Pelz um die Schultern und greift nach seinem Zigarettenpäckchen, bietet auch ihm eine von seinen Zigaretten an. Er lehnt, höflich lächelnd, ab, schenkt aber ihr und sich selbst Wein nach.
    »Die Gegenwart ist nichts, das reine Nichts, und an die Zukunft vermag ich nicht zu denken. Ich fürchte die Nächte, allein in einem Bett, und ich habe Angst vor den Gespenstern der Vergangenheit. Sie verfolgen mich auch tagsüber, lassen mich einfach nicht in Ruhe.«
    »Triest scheint eine Stadt voller Gespenster zu sein«, sie sagt es verbindlich und gleichzeitig amüsiert.
    Mit einem trotzigen Unterton fährt er fort: »Heute nacht werde ich mich betrinken, ich will den Irrsinn meiner Liebe löschen, die alte Erinnerung daran zerstören. Nur um diese hartnäckigen Gedanken zu vertreiben, werde ich meine Flasche erheben, aber je mehr ich trinke, desto mehr erinnere ich mich an sie. – Sie sind übrigens mindestens so schön wie sie. Lassen Sie uns auf die Schönheit trinken. Zum Wohl!«
    Sie stößt mit ihm an.
    »Niemals wird sie erfahren, daß mein Leben eine einzige Qual gewesen ist, daß ich krank bin vor Sehnsucht nach ihr und sie noch immer liebe, niemals werde ich ihr von meiner Bitterkeit erzählen können ...« Er spricht jetzt wieder so leise, daß sie ihn kaum mehr versteht.
    Fasziniert beobachtet sie den Rauch, der ihrer Zigarette entweicht.
    »Sie sind heute bereits der zweite Mann, der mit mir über die Liebe spricht – und das an einem trüben Novembertag! Übrigens hat mir auch der andere von einer Doppelgängerin erzählt. Das ist einfach absurd.«
    »Ja, das ganze Leben ist eine absurde Wunde, alles, absolut alles ist flüchtig, ein Rausch, nicht mehr. Die Mauern von San Stefano, das kalte Licht der Glühbirne, ja selbst die Stadt, das Meer, der Mond, alles ist anders. Die Sehnsucht nach dem Vergangenen und die Trauer wegen einer Illusion, die gestorben ist, alles nur absurde Sentimentalitäten.«
    »Ist sie schon lange tot?«
    »Ermordet vor
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