Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Triestiner Morgen

Triestiner Morgen

Titel: Triestiner Morgen
Autoren: Edith Kneifl
Vom Netzwerk:
läßt sie stehen.
    Der Barkeeper starrt auf ihre Beine. Er weiß es zu schätzen, wenn Frauen Nylonstrümpfe und hochhackige Schuhe tragen. Mädchen in seinem Alter bevorzugen Strumpfhosen und bequemes, flaches Schuhzeug.
    Die Schöne stellt Fototasche und Handtasche auf den Stuhl neben sich, zieht ihren Pelzmantel aus und legt ihn über die beiden Taschen. Vergeblich versucht sie dann, die Aufmerksamkeit der Kellnerin auf sich zu lenken. Die ältere, ziemlich verhärmt aussehende Frau übersieht ihre erhobene Hand und bedient später gekommene Gäste. Der junge Mann hinter der Theke hat ihr Winken jedoch registriert und zwinkert ihr verständnisvoll zu.
    Sie schaut gelangweilt durch ihn hindurch, schlüpft aus ihren Pumps und massiert ihre Füße. Auch den Mann, der gerade hereinkommt, scheint sie nicht zu bemerken.
    Er begrüßt die Kassiererin mit einem Kuß auf die Wange und nickt auch der Alten, die unermüdlich den Boden aufwischt, freundlich zu.
    Nur wenige Tische sind besetzt, doch er steuert geradewegs auf den Tisch der schönen Fremden zu.
    »Ist hier noch frei?« Er wartet ihre Antwort nicht ab, setzt sich einfach auf den leeren Stuhl ihr gegenüber.
    Überrascht blickt sie auf.
    »Darf ich meinen Mantel zu Ihren Sachen legen?«
    Sie nickt verwirrt und schaut ihm zu, wie er seinen Regenmantel sorgfältig zusammenfaltet und auf ihren Nerz legt.
    Aus der Nähe sieht er wie ein gewöhnlicher Landstreicher aus. Nicht nur seine Kleidung dürfte schon bessere Tage gesehen haben. Seine rötliche Gesichtshaut verrät den geübten Trinker, sein weißer Stoppelbart ist mindestens drei Tage alt und sein Haar schulterlang. Doch seine strahlend blauen Augen und sein jungenhaftes Lächeln wirken sehr einnehmend.
    Sie kramt in ihrer Handtasche, leert den Inhalt der Tasche auf den Tisch, zerknüllt ein leeres Zigarettenpäckchen, mehrere Zettel und Fahrkarten und räumt die Tasche wieder ein.
    Die Arbeiter sind zusehends schweigsamer geworden. Die ersten brechen auf und verabschieden sich von ihren Kollegen mit einem freundlichen »Ciao«.
    Über den Lautsprecher werden Zugverspätungen bekanntgegeben, zuerst in Italienisch, dann in Slowenisch und zuletzt in deutscher Sprache.
    Enrico blättert in seinem Notizbuch, klappt das Buch wieder zu und geht hinaus. Sein halbleeres Weinglas läßt er auf der Theke zurück.
    Die Telefonzelle neben dem Zeitungskiosk ist besetzt. Ein Betrunkener bemüht sich vergeblich, eine Münze in den Schlitz zu stecken.
    Der heftige Wind hat die Bahnsteige leergefegt. Kein Intercity, kein Regionalzug, nur ein paar Güterwaggons, die auf ihre Lokomotive warten. Einige Touristen, gut verpackt in warmen Wintermänteln, schlendern unter dem Vordach auf und ab.
    Am Ende der Gleise steht ein Polizist, die Hände auf dem Rücken verschränkt. Er wirkt wie angefroren.
    Zwei Gepäckträger veranstalten mit ihren leeren Wagen ein Wettrennen auf den Bahnsteigen. Das Geräusch der klappernden Räder läßt Enrico zusammenfahren. Er reißt die Tür der Telefonzelle auf, zerrt den Betrunkenen, der im Stehen eingeschlafen scheint, heraus und wählt.
    Erst nach mehrmaligem Klingeln hebt jemand ab. Die männliche Stimme am anderen Ende der Leitung klingt brüchig und verschlafen, und doch erkennt er sie sofort.
    »Das darf doch nicht wahr sein, unmöglich! Du bist es wirklich?«
    Die unverhohlene Überraschung entlockt Enrico nicht das kleinste Lächeln. Er bittet den Freund, so schnell wie möglich hinunter in die Stadt zu kommen. Der gute Giorgio scheint jedoch keine besonders große Lust zu haben, ihn wiederzusehen. Er erfindet alle möglichen und unmöglichen Ausreden, um dieses Treffen hinauszuschieben, wenn nicht gar zu vermeiden.
    Ruhig, aber bestimmt erklärt ihm Enrico, warum es sein muß, dieses Wiedersehen nach so vielen Jahren. Schließlich gibt Giorgio nach, so wie er seinem Freund und früheren Arbeitskollegen immer nachgegeben hat, und willigt ein, ihn in einer Stunde vor ihrem ehemaligen Bürogebäude zu treffen.
    Enrico schlendert zurück in das fast leere Bahnhofscafé. Keiner nimmt von ihm Notiz. Die Kassiererin ist in einen Liebesroman vertieft, der Barkeeper wäscht die Gläser ab. Sein halbleeres Weinglas ist wohl auch darunter.
    Er bestellt noch einen Terrano und schenkt dem Pärchen am Tisch neben der Theke einen gelangweilten Blick. Der Mann kommt ihm bekannt vor. Zwar kann er sich keine Namen merken und hat auch mit Zahlen Schwierigkeiten, aber ein Gesicht, das er einmal gesehen hat,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher