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Triestiner Morgen

Triestiner Morgen

Titel: Triestiner Morgen
Autoren: Edith Kneifl
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bedeutete für die meisten von ihnen zwei Tage Fahrt und zwei Nächte im Bus – ein Hotel konnten sie sich nicht leisten. An manchen Samstagen verwandelten dreihundert Busse oder sogar mehr die Stadt in eine einzige Verkehrshölle. Bis auf den letzten Zentimeter nützten sie alle verfügbaren Parkplätze aus. Enrico und seine Freunde machten sich manchmal die Mühe, nur die Busse, die rund um den Bahnhof standen, zu zählen.
    Aber was vor zwanzig Jahren einem maghrebinischen Basar glich, ist heute ein totes Viertel. Der Wind wirbelt Packpapier, Blechdosen und Plastikbecher über die Straße. Die Geschäfte sind geschlossen, die Rolläden an den knallrot und giftgrün gestrichenen Buden heruntergelassen, die Leuchtschriften erloschen.
    Das Geschäft mit dem ›blauen Gold‹, wie man die Bluejeans damals nannte, dürfte versickert sein. Die endlosen Menschenschlangen vor den Läden, die Stühle, die mitten auf dem Gehsteig standen, damit die Kunden in Ruhe Schuhe probieren konnten, die unverständlichen Laute der fremdländischen Händler, nichts als Erinnerungen.
    Nur rund um das Denkmal der schönen Kaiserin Sissi breitet sich nach wie vor Konsumtristesse aus. Immer noch scheinen einige Slowenen zu glauben, hier Jeans, Elektrogeräte und Autozubehör billiger zu bekommen. Selbst heute am Feiertag haben einige Händler ihre zum Teil wahrscheinlich gestohlene Ware auf dem feuchten Rasen ausgebreitet. Doch die vielen Kinder, die in diesem Park früher mit ihren Spritzpistolen Krieg spielten, sind inzwischen erwachsen geworden und haben mit echten Waffen geschossen. Vielleicht sind sie längst tot, denkt Enrico.
    Ohne die ärmlich gekleideten Gestalten, die frierend unter den kahlen Laubbäumen Schutz suchen, noch weiter zu beachten, verläßt er die kleine Parkanlage gegenüber dem Bahnhof.
    Ein dünnes Hemd bedeckt meine Blöße, Arme, Beine und Hintern sind nackt. Mein Fleisch ist von vollkommener Schönheit, weich und warm, von Sonne durchflutet. Die Haut glatt und von unschuldigem Weiß, wie die Haut eines Kindes.
    Enrico sitzt regungslos am Rand des Bettes, die Schultern gebeugt, die Arme auf den Schenkeln ruhend. Die dünnen, farblosen Lippen krampfhaft zusammengepreßt, starrt er auf den golden schimmernden Teppich. Die Morgensonne taucht das Schlafzimmer in ein verführerisches Licht. Geblendet schließt er die Augen.
    Die Nacht war lang und stürmisch, wie schon so viele Nächte vorher. Gewöhnlich verschlafe ich die Vormittage. Enrico muß spätestens um sieben Uhr dreißig aufstehen, nur an den Wochenenden kann er ausschlafen.
    Ich weiß, wie sehr er es liebt, beim Aufwachen meine feuchte Wärme neben sich zu spüren. Schlaftrunken schmiegt er sich an meinen weichen Körper und versucht eine zärtliche Umarmung. Unsanft stoße ich ihn weg. Ich schätze die Liebe am frühen Morgen nicht.
    Die Augustsonne brennt mit voller Kraft in den kleinen Raum. Drückende Schwüle lastet über dem Zimmer, vermischt sich mit Schweißgeruch und abgestandenem Zigarettenrauch. Bestimmt träumt er von einem anderen Erwachen. Unter freiem Himmel, in kalter und klarer Gebirgsluft vielleicht? Es mangelt ihm nicht an Phantasie. Doch ich will nicht mit ihm in den Karst fahren. Ich bin eine sehr urbane Frau und halte nicht viel von Wald- und Wiesenromantik.
    Resigniert betrachtet Enrico sein zerknittertes Hemd, das er gestern nacht ordentlich über eine Stuhllehne gelegt hat. Nun stellt er sich wieder vor, wie ich seine Hemden waschen und bügeln werde.
    Ich kann mich nicht in der Rolle seiner lieben, kleinen Frau sehen, obwohl er mir unsere gemeinsame Zukunft immer wieder in den schönsten Farben ausmalt. Er langweilt mich stundenlang mit diesen trostlosen Zukunftsplänen: Ein kleines, trautes Heim, stilles Glück zu zweit ...
    Gestern abend in der Bar lachte ich ihn aus, als er von Hochzeit sprach. Livio und Giorgio lachten mit mir. Aber mein lieber Enrico blieb ernst, verzog keine Miene, murmelte nur etwas von Ehe-Phobie. Mit sanftem Druck würde er mich eines Tages heilen, kündigte er seinen Freunden an. Mir verging das Lachen.
    Ich liebe die Männer, viele Männer. Ein Mann hat mir noch nie gereicht. Mag sein, daß ich auch nur aus Langeweile mit ihnen ins Bett gehe. Vielleicht mache ich es aber auch aus Wut. Aus jener unbestimmten Wut auf das Leben, das mir bisher etwas schuldig geblieben ist. Aber so genau will ich es gar nicht wissen.
    Enrico möchte mich trotzdem heiraten und viele kleine Kinderchen mit mir haben. Allein
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