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Triestiner Morgen

Triestiner Morgen

Titel: Triestiner Morgen
Autoren: Edith Kneifl
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könnte Sie als Kollegen einschleusen, Presseausweise habe ich jede Menge bei mir, wir müßten nur das Paßfoto austauschen. Wenn Sie kein aktuelles Foto bei sich haben, stelle ich mich gern als Fotografin zur Verfügung«, fügt sie hinzu, als ihr plötzlich wieder einfällt, was sie ursprünglich mit ihm vorgehabt hat.
    Enrico schaut sie nachdenklich an. Er hat ihr nicht richtig zugehört. Während sie sprach, sonnte er sich in der Wärme ihres Körpers, spürte er ihr weiches Fleisch – frisch und wunderbar riechend, wie kein Parfum je riechen kann –, streichelte er ihre vollen Schenkel, küßte er ihren wundervollen Hintern und ihren zu großen Mund, aus dem diese vielen Worte quollen.
    »Die Realität des Grauens läßt sich nur vor Ort einfangen. Ich will eine Hard-core-Aufnahme des Sterbens: zerschossene Minarette, eingestürzte Häuser, zerbrochene Fensterscheiben, bettelnde Kinder, eine streunende Katze auf der einsamen Straße, die vor Hunger umfällt, sich wieder aufrichtet und wieder hinfällt ...«
    »Raus aus dem Dreck, rein in den Dreck ...«, murmelt er abwesend.
    Sie schenkt seinen Worten keinerlei Beachtung.
    »Ich will die Friedhöfe haben, die von den Hügeln herab in die Stadt kriechen, die mit Blumen geschmückten Gräber auf den Sportplätzen, die provisorischen Grabsteine in den verwüsteten Parkanlagen, die Kinder, die vor den Scharfschützen nicht mehr in Deckung gehen, die vor ihren Augen Krieg spielen ...«
    Enrico, der sich durch ihr Geschwätz in seinen süßen Träumen gestört fühlt, unterbricht sie wieder: »Schämen Sie sich nicht?«
    »Sie meinen, dem ohnmächtigen Voyeur bleibt zuletzt nur die Scham.«
    »Ja, die Scham über den Kriegstourismus, den der internationale Journalismus im ehemaligen Jugoslawien betrieben hat und immer noch betreibt. Und die Scham über die Ergebenheit der Menschen in den Kriegsgebieten. Anstatt uns anzuklagen, bedanken sie sich noch bei uns.«
    »Falsches Mitleid ist grausam. Und das Gefühl von Scham ist genauso inflationär geworden wie die Pornographie der Berichterstattung. Scham ist reiner Luxus, der Luxus des bezahlten Beobachters.«
    »Die Menschen dort können sich diesen Luxus nicht leisten. Ich kenne den Krieg, ich habe die Horrorbilder im Fernsehen gesehen, aufgeschlitzte Männerkörper, vergewaltigte Frauen, mißhandelte Mädchen, Kinderköpfe, die über Gehsteige rollen, Schwangere von Heckenschützen niedergestreckt, Invalide, ruhend auf Betten aus Eis, die Glieder von der Kälte amputiert.«
    »Moralapostel«, murmelt die Schöne verärgert.
    Enrico fährt unbeirrt fort: »Steile Hügel aus Trümmern und Schutt, Ruinen inmitten von Asche und Schnee, zerstörte Brücken, blutrote Plätze, ein Königreich der Toten, eine Totenstadt, regiert von Läusen, Wanzen und Ratten. Syphilis und Gonorrhoe, milde Gaben der Soldaten, sind nur die kleineren Übel, die man sich einfangen kann. Sie sind jung, klug und schön. Was wollen Sie in so einer Stadt? Sie haben dort nichts verloren.«
    »Versuchen Sie, mir Angst einzujagen? Ich warne Sie, es wird Ihnen nicht gelingen.«
    »Ich bin überzeugter Pazifist – von Geburt an«, bemüht er sich, das ungemütliche Thema zu beenden. »Ich bin 1943 am Tag des Waffenstillstands zwischen Italien und den Alliierten geboren, habe aber, wie alle Trümmerkinder, noch jede Menge Greuel mitbekommen. Ich brauche keine Bilder, um zu wissen, wie Gewalt aussieht. Und ich kenne auch diese üble Meute der Kriegsberichterstatter. Wie gierige Hyänen haben sie sich damals auf uns Kinder gestürzt, uns Kaugummi oder Schokolade versprochen, damit wir möglichst verzweifelt und hungrig in die Linse gestarrt haben.«
    Sie hört ihm nur widerwillig zu, nickt ungeduldig und reißt schließlich wieder das Wort an sich: »Ich habe ein klares Konzept. Wenn man nicht mit konkreten Vorstellungen runterfährt, erleidet man Schiffbruch. Ich weiß schon von vornherein, was ich haben, was ich sehen will. Eine brutale, aber auch höchst rührselige Inszenierung – das lieben die Leser. Es ist ein Fehler zu glauben, daß Authentizität und Originalität einfach so ins Kameraauge springen.«
    Gebannt starrt Enrico auf ihren Mund, scheinbar bemüht, ihrem unaufhörlichen Geplapper zu folgen.
    »Die weißen, gepanzerten UNPROFOR -Fahrzeuge geben den Städten einen Anstrich von Frieden, aber an jeder Ecke lauern die Minen, nur wenige sind bereits entschärft worden, die meisten sind nach wie vor tödlich. Seitenlang nichts als
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