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Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Titel: Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)
Autoren: Ingomar von Kieseritzky
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an Moscati, jenem talentierten Mann, der gegen den aufrechten Gang opponierte. Kant hatte unrecht. Der Gang auf allen vieren ist nicht für alle Individuen gut, für mich ist er bewegungstechnisch ein Labsal. Zuerst waren die inneren Organe irritiert über ihre neuen Lagen; sie gewöhnten sich schnell, der Geist triumphierte über den Körper.
    In einer Ecke stand ein großer Fernsehapparat und zeigte seine Innereien.
    Ich erschoss ihn, sagte Finriß befriedigt, es war ein Schrotschuss im Februar dieses Jahres – kein Reflex, nein! Nach Reflexion, nicht im Affekt. Ich entschuldigte mich vorher bei der Maschine, denn sie kann ja nichts dafür. Nein, TV ist kein Nullmedium, wie ein geschmeidiger Essayist einmal schrieb, es ist eine Maschine der Verblödung und der freiwilligen Selbstentmündigung … Programme, Herr Singram, von Idioten für Idioten wie das Internet … Kommunikation um jeden Preis, internalisierter Schwachsinn, dieser infantile Fetisch, und alle sind sie für alle Botschaften disponibel – Informationsgesellschaft … jeder hängt an seinem Tropf und sabbert das Seine ab. Und alle funktionieren in ihrer Formlosigkeit, ihrem stillosen Fortschrittsoptimismus, obwohl es nur Krisen gibt, private und – machen Sie mal den Wein auf, muss zum Abtritt.
    Finriß kroch mit einer Geläufigkeit aus dem Zimmer, die auf Training schließen ließ. Alle Achtung.
    Darf mich nicht ereifern, sagte er nach seiner Rückkehr, schadet der Gesundheit. Wissen Sie, der Darm hat sich noch nicht an die neue Gewohnheit angepasst, wir werden es schaffen, ich und mein Gehirn.
    Der alte Herr ruhte jetzt bäuchlings auf dem roten Lederpouff und trank in dieser Position. Sah nicht bequem aus, aber was opfert man nicht einer guten Idee.
    Der Mensch, sagte Finriß, lebe elementar falsch, er schläft falsch, er scheißt falsch, er fühlt falsch, und er denkt falsch. Beim Kacken müsse der Mensch hocken, aber nicht auf dem ergometrisch falschen Becken, sonst ginge alles schief; Unterhosen seien schädlich, die Hoden müssen frei schwingen wie (er suchte nach einem Bild) – wie ein Gedicht von Rilke … Klopapier mache die zarten Schleimhäute kaputt, Blätter seien besser, er wisse noch nicht genau, welche, die Experimente seien noch nicht abgeschlossen … aber wie geht es Ihnen, fragte er, ich sähe angegriffen aus. Machen Sie immer noch mit Tieren ’rum –?
    Nein, sagte ich, mein Interesse –
    Man dürfe sie niemals verlieren, die Interessen, sagte Finriß. Wie wahr, wie wahr.
    Im Augenblick, sagte ich, sei ich verliebt in eine Notärztin, eine brünette Dame, die leider –
    Ja ja, sagte Finriß, Frauen! Zugänglich, aber unzulänglich, ferne Ziele, schön, aber … Pardon, muss noch mal … fürchte, dass der kommunikative Kontakt zwischen Hirn und Darmhirn, also der Transfer von Informationen, noch nicht funktioniert … ich bringe jetzt die Sache mit Immodium zur Räson, bis gleich.
    Verfluchte Kommunikation, murmelte Finriß, als er seinen Pouff wieder erreicht hatte. Ja, die Liebe … wie ein glückloser Dichter mal schrieb:
    Der Kandelaber mit Kerzen auf der Couch zweideutiger Gefühle.
    Das war ich mit fünfzehn.
    Sie sind der Notärztin schon nähergekommen?
    Leider nicht, sagte ich, da ist eine spröde Sachlichkeit bei ihr, eine Art Pragma–
    Jaja, sagte Finriß und ruderte mit seinen Füßen auf dem Teppich. Hoffnungslos, vor allem die Unzugänglichen, die zulänglich sind. Fruchtlose Unterhaltung.
    Ihre Ekelreaktionen, immer noch intakt?
    Er war nahe am Einschlafen; eine Flasche des guten Romanée-Saint Vivant war leer.
    Ganz in Ordnung, sagte ich, aber ermattet.
    Reizüberflutung, sagte Finriß und gähnte. Gehe nicht mehr außer Haus, sinnlos. Aversion und Ekel gegen Mensch und Tier in Balance schwer zu halten, geht nur auf allen vieren, Moscati sei Dank.
    Schmeckt mein Wein?, fragte ich.
    Wie Wein eben so schmeckt, sagte der alte Bursche. Der Mensch, mein lieber Singram … ist ein Skinner-Modell, anthropologisch betrachtet, das neue Subjekt ist eine Blackbox ohne Seele, ohne Willen, ohne Form … Auch Gefühle sind nutzlos und schlecht für den inneren autonomen Menschen, den es nicht mehr gibt, und erhöhen den Blutdruck.
    Gute Nacht, sagte Finriß und schlief ein, die Nase in einer weichen Falte des Pouffs.

 
    112 Besuchsrunde abgeschlossen. Resümee nicht notwendig. Finriß sehr ergiebig im Gespräch. Probierte auf dem Dachboden den Gang auf allen vieren nach Moscati zwischen den Müllsäcken; stieß mir
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