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Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Titel: Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)
Autoren: Ingomar von Kieseritzky
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die Rübe gründlich am rechten Vorderbein der Chaiselongue, kam schwer wieder hoch. Man sollte manches unversucht lassen.
    Gegen Abend Inventur erledigt.
    Fünfzehn Bücherkartons –
    Zwei Koffer mit Kleidung –
    Einmal Handgepäck mit Notbibliothek (Insel-Auswahl), der Rest war für den Sperrmüll.
    Dann wollte ich mein Testament aufsetzen.
    Ich hatte die Absicht, mein Testament zu machen, handschriftlich, wie das Gesetz es befiehlt. Ich machte kein Testament. Wem hätte ich meine Schätze vermachen können – Micky Mouse-Hefte, gesammelt ab 1953, die tollsten Geschichten von Donald Duck, aber nur bis No. 54 und nur die von der genialen Erika Fuchs übersetzten, vierzig Tarzan-Hefte, Prinz Eisenherz (Hal Foster), 25 Wiener Bronzen – Quadrupeden und Amphibien –, ein Pekinglöwe auf einer goldenen Kugel sitzend; von Hutschenreuther. Im Linksprofil lächelte er unter einem schlafenden Ohr, im rechten (unter dem aufmerksamen Ohr) verzog er traurig die Schnauze, seine Augen sind geschlossen, aber ich weiß, dass er nicht schläft. Irgendwo auf der Welt in einer Vitrine, einer Schublade oder auf dem Nachttisch eines Liebhabers steht sein brüderliches Pendant, das rechte Ohr im Schlaf, das linke wach.
    Diese Objekte würden mich alle überleben; gegen diese Gewissheit trank ich eine Flasche Margaux und kroch in mein Stryker-Bett. Der Sommer war heiß, dann fiel schon der trübe November, den Winter verschlief ich, während Schnee auf die Heckluke meiner Arche fiel, all die solitären Kristalle –, und als ich am nächsten Morgen (immer noch im Monat Mai) aufwachte, war ich so erschöpft, als hätte ich wirklich einen Winterschlaf mit reduziertem Stoffwechsel hinter mir.
    Der kleine Pekinglöwe auf dem Nachttisch hatte mich bewacht; er wandte mir die an den Lefzen resignierte Seite zu.
    Den Besuch bei den in ihren Therapien allzu eklektischen Ärzten Wolzan & Guth verschob ich auf einen anderen Tag.
    Ihre dänische Dogge Miriam – sie litt an diffusen Ängsten – überließ ich ihrer betrüblichen Pein.

 
    113 Nach diesem Erinnerungspartikel erfasste mich ein gewisser Katzenjammer, und ich ging ins Restaurant Bécasse, um mich zu regenerieren. Im November gewinnt das Schweizer Gelände an Schönheit, vor lauter Nebel sieht man die blöden Berge nicht mehr.
    Das Restaurant war um achtzehn Uhr fast leer. Die Adipositasgruppe feierte den Geburtstag einer extrem üppigen jungen Frau im scharlachfarbenen Kostüm, ein südländischer Typus mit frühem Flaum über der Oberlippe.
    Am Tisch weitab der Gesellschaft bestellte ich bei der dürren Saaltochter Emmy ein Steak de veau aux morilles und eine Flasche Aigle. Traulich illuminierte die gelbe Tischlampe (60 Watt) meinen zarten Tremor. Ich döste vor mich hin. Nach dem Essen erlöste mich Spoerri. Er brachte der Dame in Scharlachrot einen Strauß Nelken. Sie hat, sagte er an meinen Tisch, ein halbes Kilo abgenommen.
    Er sah schlecht aus im Sinn von irgendwie ‹düpiert› oder ‹betroffen›. Man muss mit diesen Wörtern sehr vorsichtig umgehen.
    Was ist passiert, fragte ich, als seine Flasche Burgunder im gelben Licht auf der weißen Tischdecke stand.
    Spoerri trank mit Begierde und sagte, er sei in Trauerarbeit, aber doppelt genäht.
    Ich spürte, wie sich positive Impulse in mir regten.
    Arthur, sagte er, hören Sie.
    Die Prinzessin hat gestern Nacht das Sanatorium, mein Bett und ihre Suite verlassen. Sie hieß eigentlich Koczinsky – ihr Vater war Warlord und zeugte die Schöne während eines Urlaubs ihrer Frau Mutter, die aus Osteuropa kam, in einer Oase, bien égal, sie ist fort. Sie hinterließ mir die Rechnung. Auf der Rückseite stand der Satz –
    «Ich weiß nicht, wer oder was in meinem Leben enttäuschender war – Du oder Deine Therapien. Fare well. Meine Migräne ist ein mortal wound, und ich habe nur noch death wishes.
    Auch to you. A.»
    Schlimm, sagte ich, schlimm. Bitte der zweite Fall.
    Er habe die erste Trauerarbeit noch gar nicht hinter sich, sagte Spoerri gekränkt – die Flucht der Madame de la Tache. Sie war unendlich reich; verlässt uns eine solche Patientin, inthronisiert sich Kummer, ja unauslotbares Leid beim Arzt – Sie werden mich verstehen. Es gibt, wie Sie wissen, eine Polysymptomatologie, dem Komplex der Asymptomatologie äquivalent – Sie begreifen, mein Freund, kurz, Beschwerden, Zeichen und Symbole, die auf alles oder nichts deuten. Nichts war zu finden, Madame war voluptuös, ja kerngesund und hatte nur einen Wunsch: Sie
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