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Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Titel: Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)
Autoren: Ingomar von Kieseritzky
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wollte dreihundert Jahre alt werden, nachdem sie einen windigen Artikel in Elle gelesen hatte, in dem behauptet wurde, ein Dr. Patrick Flanagan habe ein Mittel erfunden, das ihrem Unsterblichkeitswunsch entspräche. Bon, ich bestellte es über französische Quellen, das Zeug hieß Anti-Cytotoxin, gewonnen aus der Milz und menschlichem Knochenmark. Sie sagte mir, Brigitte Bardot und Louis Jourdan nähmen das Zeug auch …
    Es gibt im Leben des Menschen Krisen, sagte ich, die durchaus nachdenklich stimmen. Könnte man 300 Jahre leben, erhöhte sich die Zahl der Krisen; das Anti-Cytotoxin habe bei der Dame nicht gewirkt?
    Schon, ausschließlich, sagte Spoerri bekümmert, Nebenwirkungen wie Haarausfall, Fußpilz und übler Mundgeruch.
    Wir schwiegen.
    Traurige Fälle, sagte ich, Sie hätten ihr ein paar Tranquilizer verabreichen sollen, das nütze immer.
    Alles passiert, sagte Spoerri, sinnlos. Ich hatte ihr verschwiegen, dass man dieses Lebenselixier vor dem 25. Lebensjahr injizieren muss – bei Madame de la Tache war’s zu spät.
    Ich raffte mich zusammen.
    Lieber Dr. Spoerri, sagte ich, ich brauche eine Aufgabe … Meine Arbeitsbiographie ist unvollständig. Ich benötige eine leichte Arbeit auf Honorarbasis, eine Beschäftigung.
    Sie schreiben doch, sagte der Doc, das sollte genügen. Ich hatte mal einen Schriftsteller hier, großer Mann – physisch –, der sich während seines unkurierbaren Writer’s Block in ein nebelhaftes religiöses Zeichensystem verstrickt hatte – auf der Couch in der Praxis sagte er wörtlich:
    Alles Schreiben ist ein Fortschreiben der Heiligen Schrift, nichts anderes.
    Da brach ich meine Therapie ab und widmete mich den wirklich interessanten Fällen. Das Heidi hatte damals ein Faible für stattliche Männer, deren leichte geistige Behinderung – Writers’ Block und religiöse Syndrome – ihr nichts ausmachten. Sie machte viele Lichtkuren mit ihm durch, und er genas an ihrem milchigen Busen … sehr schöne Haut hat das Heidi, das kann man sagen … und schrieb dann an einem Buch mit dem Titel Tausend Wege, ins Gras zu beißen . Wie Sie sehen, gibt’s da auch glückliche Entwicklungen, ach ja.
    Wir tranken. Die scharlachrote Dame wurde von zwei fetten Begleiterinnen zur Toilette geführt.
    Mein lieber Spoerri, sagte ich, darf ich noch einmal auf die Jobfrage kommen. Sozusagen am Ende meiner Weltflucht, sinnlos wie alles, was man so unternimmt, wächst meine Sehnsucht nach Verantwortung, entweder für ein Tier oder – nein –, Tiere wären das Beste, ich verstehe mich irgendwie mit ihnen, sie sind erfreuliche Geschöpfe, Schildkröten, Katzen, Kakerlaken …
    Soso, sagte Spoerri, vor zehn Jahren biss mich ein Hund bei einem Spaziergang in den Arsch; die leibliche Frucht der Verbindung zwischen einer Bullterrierhündin und einem Pitbullrüden – dreißig Kilo schwer, seine absolute Beißkraft entsprach so 290 Newton. Der Köter hieß Amigo und biss aus Angst. Wir versorgten ihn mit einem Antidepressivum, ab da biss er mit Lust. Als seine Kiefern erlahmten, ich nehme an, es waren das Alter und eine kognitive Dysfunktion, wurde er schwermütig.
    Da ist Anipryl gut, sagte ich, gegen Schlafstörungen, Herumirren und verändertes Begrüßungsverhalten – kurz, gegen alles.
    Ja, sagte Spoerri, die Pharmazie kümmere sich schon um viele mental verkorkste Geschöpfe – sehen Sie mich an –
    Immer wieder gern, sagte ich, aber ich brauchte eine sinnvolle Tätigkeit in der Luxus-Enklave.
    Da kommt mir eine Idee, sagte Spoerri. Zu uns kommen viele Gäste mit ihren Hunden. Die Hunde dürfen nicht ins Haus, schon wegen der Hygiene. Nun habe eine alte Freundin namens Regula Huebli eine Pension für die Lebenspartner unserer Probanden gegründet, geräumige Zellen mit Matten und automatischen Wasserspendern, alle Zellen mit Aussicht auf die schöne Schweizer Gebirgslandschaft. Aber die Hunde brauchten zweimal am Tag Auslauf, d.h. einen umsichtigen und verständigen Chef für Spaziergänge während der Behandlung ihrer Besitzer. Ob das ein Job für mich wäre – frische Luft, idyllische Landschaft und lauter liebe Köter.
    Ich sagte natürlich zu. Eine solche Arbeit hatte ich mir schon immer gewünscht; ich musste die Tiere ja nicht therapieren.
    Sie fühlen sich dieser Aufgabe gewachsen, fragte Spoerri. Ich sei ja nicht besonders kräftig, eher leptosom, vasolabil mit leichten kognitiven Störungen und einer unauffälligen Gesamtverstimmung, das sei das klinische Bild.
    Absolut, sagte ich,
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