Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Titel: Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)
Autoren: Ingomar von Kieseritzky
Vom Netzwerk:
Leinen, Geschirre und Maulkörbe lieferte die Hundepension Huebli?
    Selbstverständlich, sagte Spoerri. Ich könne die Hunde im Gruppenverband ausführen oder einzeln.
    An einem Hund liege ihm besonders, ein schwermütiger Labrador namens Lucky, der in seinem bewegten Leben vier Besitzer ins Grab geführt habe – einstmals ein Blindenhund –, er sei desorientiert, ängstlich bis furchtsam, aber extrem sanft. Sein letzter Herr war ein englischer Lord; bei einem Osterspaziergang verirrten sich Herr und Hund, der Lord stürzte vom Felsen in einen Wasserfall – das brave Tier machte Meldung. Stellen Sie sich vor, Lucky hatte Tränen in den Augen, ich schließe daraus, dass Hunde eine Privatmoral haben. Mit dem herrlichen Produkt der Firma Novartis Clomicalm besiegte der arme Labrador seine Depressionen und apportiert in der freien Natur mit viel Zartsinn eine Plüschkatze, mit der er auch schlummert, mehr als ein Liebesverhältnis – ohne seine Plüschkatze leidet er unter dem Pavor nocturnus.
    Und so freundlich sind alle diese Hunde, jeder hatte ein schweres Schicksal, sie bedürfen der Liebe, Herz und Lunge und der Medikamente, um ihren Dopamin- und Serotoninspiegel in den armen Gehirnen zu regulieren.
    Dieser Satz des geschäftstüchtigen Doc hätte mich misstrauisch stimmen müssen. Der Aigle hatte mich stupide gemacht.
    Diese Hunde, sagte ich, haben alle Macken?
    Wer hat keine, sagte Spoerri mit dem Ernst des Therapeuten, der schon allzu viele Störherde beseitigt hatte.
    Aber diese Hunde seien alle gesegnet sediert und damit konditioniert auf seinsfrommes Verhalten im Gebirge.
    Er werde Madame Huebli informieren über das neue Alpha-Tier Arthur Singram für die Ausflugstermine mit der Gruppe, zwei Mal am Tag.
    Letzte Fragen. Spoerri drückte die Blase wie mich auch. Der Spülkasten in der Toilette röchle in der Nacht, der Kühlschrank sei leck und – wo war Frau Dr. Beata, das liebliche Imitat meiner aufgegebenen Liebe Margoti?
    Ja, die Beata Ponraz, die sei in Wien. Ihre Mutter simuliere gerade eine aggressiv-manische Phase, sozusagen ein hypomanischer Nachschlag nach einer Zeit der Düsternis.

 
    114 An einem Montag fing ich mit den Hunde-Exkursionen an.
    Es handelte sich um eine gemischte Gruppe –
    Eine dänische Dogge namens Hera, ein männlicher Pudel mit hübschen Beffchen um die Pfoten, der hieß Horst, ein männlicher Retriever, der auf den Namen Harold hörte, ein Bassett, auch männlich, aus Frankreich, Michel und endlich der unglückliche Blindenhund, der liebe Labrador Lucky; sie sahen alle verschlafen aus. Frau Huebli war eine behaarte Person mit einem rosigen Busen unter einem bleichen Kropf, eine echte Struma. Ihr Schnurrbart bebte, als sie mir die Gruppe anvertraute.
    Der Spoerri sagte, Sie täten Biographien über die Hundi wollen schreiben, das ist schön, es wird ja so viel Blödsinn geschrieben, aber die Hundi, das lohnt!
    Obacht auf den Lucky, der will Selbstmord machen. Obacht auf die Hera, so eine dänische Dogge sucht immerfort Streit, der Pudel Horst ist Künstler, der pinkelt Ihnen im Kopfstand auf den Vorderpfoten ans Bein, immer Deckung!
    Der Michel, der simuliert Herzattacken, weil er nicht laufen mag, so ein Bassett hat ein goldenes Herz, ist aber halt traurig –, der Golden Retriever, unser Harold, liebt Frauen … aber nur die menschlichen, er ist noch Jungfrau – immer kurze Leine!
    Das Wetter war angenehm. Es lässt sich nicht anders sagen, die Sonne schien auf die Spaziergänger, das Alphatier ging voran, mit fünf Hunden an fünf Leinen. Wir gingen aufwärts, wir stolperten abwärts, bis ich ein schönes Wiesenplätzchen unter Lärchen entdeckte.
    Die Hunde schlugen unter freiem Himmel ihre Biwaks auf, ich reichte ihnen Leckerlis aus einem Plastikbeutel von Migros, die treuen Gefährten waren zufrieden. Der Bassett Michel hatte sofort seine schwermütigen Augen geschlossen und ersparte sich den Blick ins Tal, wo Leute ihren Plänen, Wünschen und Träumen, Dummheiten, Kalkulationen und Affekten nachgingen oder – hingen. Auch ich war schläfrig. Für alle Fälle schenkte ich der Dogge Hera noch eine Doppeldosis Prozak; Frieden senkte sich herab, Schafe und Lämmer weideten im blauen Himmel.
    Arkadien – leider fiel mir kein bukolisches Gedicht ein.
    Fast alle schliefen. Hera, das Doggenvieh, es pennte; der Pudel Horst leckte kurz sein Gliedchen und verschlief eine kleine Erektion; Harold sah einen Augenblick auf die Berge, dann überwältigte auch ihn der Daemon
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher