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Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)

Titel: Traurige Therapeuten: Roman (German Edition)
Autoren: Ingomar von Kieseritzky
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träumte von einer schönen Brünetten, die ich aus einem Sumpf befreite. Noch am Ufer liebten wir uns im glazialen Schlamm; ich erschauerte noch am nächsten Morgen vor dem Jäger Iron. Von dieser Art Gemütstiefe und Seelenruhe konnte man nur lernen.

 
    110 Zwei Besuche waren noch abzuhaken, auf der Liste stand an prominenter Stelle Dr. Finriß, an zweiter Stelle der Kunsthistoriker Pohl, dieser tapfere therapieresistente Mann, der souveräne Meister subtiler Ekel-Reaktionen, der aus dem Vollen schöpfte. Finriß fand ich im Telefonbuch, Dr. R. Finriß, auch er ein sublimer Spezialist des Ekels und der Erfinder sinnreicher Ekelkuren, die er neben seiner immer erfolgreichen Aversions-Therapie betrieb, ein Alkoholiker, aber was für ein reicher und liebenswürdiger Geist. Meine zahlreichen Phobien zu kultivieren, anstatt sie zu bekämpfen … das war sein Credo, ein makelloses Programm damals, dem ich mich gern unterwarf.
    Anruf bei Pohl, den in der Malerei nur die Orientalisten interessierten, vom großen Bauerfeind (Gustav) bis zu Felix Ziem, alle zwischen 1820 und 1911, eine wahrlich glorreiche Zeit für diese Vorlieben. Was mochte wohl aus diesem freien Mann geworden sein, auf welche diffizilen Gipfel von Todesverachtung mochte er gelangt sein in der Drift ‹methodus per nauseam›.
    Ich war einmal verständnisvoller Sitznachbar im Theater, Stück vergessen; auf der Bühne wurde gebrüllt, gevögelt, gewichst, geschlagen und geblutet, und Pohl kotzte auf den kahlen Kopf eines Herrn in der Vorderreihe, bevor er sein seidenes Taschentuch ziehen konnte. Die Künste geben im Allgemeinen viel, aber man muss sie ertragen können.
    Ach, ich konnte am Telefon nur noch mit einer verweinten Dame sprechen, seiner Schwester Erna.
    Pohl habe während einer Ausstellung, in die er versehentlich geriet – eine simple Verwechslung der Türen mit tödlichem Ausgang –, einen Herzinfarkt erlitten.
    Wie hieß der Künstler?, fragte ich.
    Schwitzers oder so ähnlich, sagte die alte Dame.
    Wahrscheinlich Schwitters, sagte ich, ein trüber Dadaist aus Hannover. Gnä’ Frau, sagte ich, es mag kein Trost sein, aber ihres Bruders Reaktion sei verständlich.
    Danke, sagte sie. Und ich strich Pohl von der Liste.

 
    111 Finriß wohnte abgelegen im Bezirk Frohnau, hübsche Gegend, viele Kiefern, einsame alte Villen aus der Gründerzeit. Meldete mich telephonisch, er sagte, mein Besuch sei ihm angenehm.
    Sie waren, sagte er, dieser Allergiker und Phobiker mit der Alkohol-Autotherapie. Erste Klasse war das, hilf dir selbst, dann hilft dir Gott, wie die Christen sagen. Und dann hatten Sie irgendeine Seelen-Theorie über psychotische Tiere, mein Gedächtnis neigt zu Fehltritten. Ach, Sie waren vor allem gegen Menschen allergisch, jetzt fällt’s mir wieder ein, das war’s, einzig vernünftige Reaktion, wenn Sie mich fragen. Sie können kommen, wann Sie wollen, ja im Augenblick wäre es sogar zweckmäßig, meine Haushälterin verließ mich nach acht Jahren. Bringen Sie bitte ein paar Pullen Wein mit, am besten einen Premier cru aus dem Médoc, den vertragen Magen, Leber und Gehirn am besten … die Truppe ist wählerisch geworden im Alter. Und bitte ein paar Fischkonserven, aber keinen Dorsch in Öl, sonst alles willkommen, eine ungarische Salami wäre auch nicht schlecht und aus der Apotheke Immodium gegen Durchfall. Nehmen Sie ein Taxi. Bringen Sie die Quittungen mit. Bis dann.
    Lämmerwölkchen wanderten über den Himmel, als ich am späten Nachmittag an einem alten Gitter voller Rost vor einer schäbigen kleinen zweistöckigen Villa klingelte.
    Die Haustür mit einem blinden gelben Bullauge öffnete sich – Dr. Finriß empfing mich auf allen vieren und sah zu mir auf. Er trug ein weißes fließendes Gewand aus Leinen; sein kahler Schädel sah würdig aus; er trug kein Gebiss und ähnelte Voltaire bei dessen letzter Premiere in Paris. Er kroch mir durch den Flur voran in ein kahles Zimmer mit Fenster zum Garten, überall lagen weiche, hellgraue Teppichbahnen, auf denen Pouffs ruhten.
    Danke für die Gaben, sagte er, nehmen Sie Platz, ich hole Gläser. Aus einem Nebenzimmer ertönte das Splittern von Glas, ein großer Gegenstand hatte die Balance verloren.
    Finriß kroch wieder in das kahle Zimmer und schob mit einer Hand einen kleinen Teewagen mit Flaschen, Gläsern und den Fischkonserven.
    Sie wundern sich gewiss über meine Art der Fortbewegung, sagte Finriß, las vor einem Jahr mal wieder den alten Kant und entdeckte seine Kritik
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