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Traumfabrik Harvard

Titel: Traumfabrik Harvard
Autoren: Ulrich Schreiterer
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wichtige Einnahmequelle für viele Hochschulen.
     Ungewöhnlich und, wenn man so will, »typisch amerikanisch« an dieser Förderung ist die Verquickung staatlicher Alimentierung
     und marktwirtschaftlicher Steuerung. Die Gelder fließen nämlich nicht direkt an die Hochschulen, sondern über den Umweg der
     Studenten, denen der Staat Stipendien oder Darlehen zur Finanzierung ihrer Studienkosten gewährt. Weil es nicht um eine institutionelle
     Förderung oder Subventionierung von Studienplätzen geht, spielt es auch überhaupt keine Rolle, ob eine Hochschule privat oder
     staatlich ist – in beiden Fällen bekommt sie für jeden |31| eingeschriebenen Studenten, der zu einer staatlichen Unterstützung berechtigt ist, denselben Betrag.
    Allerdings wollte man verhindern, dass Hochschulen, die Studienprogramme zweifelhafter Qualität anbieten, von der staatlichen
     Alimentierung profitieren. Studenten werden daher nur dann gefördert, wenn sie an einer Hochschule studieren, die sich regelmäßig
     institutionell akkreditieren lässt. Wählen sie eine Einrichtung, die diese Voraussetzung nicht erfüllt, gehen sie leer aus.
     So gibt es zwar kein förmliches Akkreditierungsgebot, aber wenn eine Hochschule dieses Gütesiegel nicht besitzt, darf sie
     nur Privatzahler aufnehmen. Das kann sich letztlich keine Einrichtung leisten – weniger aus finanziellen Gründen, sondern
     weil das auch ein schlechtes Licht auf sie wirft. Daher stellen sich amerikanische Hochschulen alle sieben bis zehn Jahre
nolens volens
dem aufwendigen Verfahren, um ihren Zulassungsbrief von einer der sechs staatlich anerkannten Akkreditierungsagenturen erneuert
     zu bekommen. Dieser »zwanglose Zwang« ist die einzige gesetzlich verankerte Qualitätssicherung im amerikanischen Hochschulsystem.
     Akkreditierungen einzelner Studiengänge durch Berufsverbände und Programmevaluationen oder
institutional reviews
durch Wissenschaftsorganisationen sind dagegen nirgendwo vorgeschrieben, sondern erfolgen ausschließlich auf freiwilliger
     Basis. Ob und in welchem Umfang sie mitmacht und wie sie mit den Ergebnissen umgeht, entscheidet jede Hochschule nach Opportunität
     und Marktlage allein für sich. Staatliche Aufsicht kommt nur noch ins Spiel, wenn geprüft wird, ob ein Institut die formalen
     Förderauflagen erfüllt und dem Bundeserziehungsministerium korrekte Studentenzahlen gemeldet hat. In diesem Zusammenhang eröffnet
     letzteres fast jedes Jahr Ermittlungsverfahren gegen zwielichtige
degree mills
und »illegitimate and fraudulent institutions«, die aber nur in wenigen Fällen zu förmlichen Strafverfahren führen.

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Leitmotive
    Als sei nichts selbstverständlicher als das, stellten die Vereinigten Staaten die Arbeit und Entwicklung ihrer Hochschulen
     unter das trinitarische Leitmotiv Selbstverantwortung, Markt und Wettbewerb, ohne dass darüber jemals eine explizite Entscheidung
     getroffen werden musste. So erscheint das System heute als eine nahezu beliebige Ansammlung selbständiger |32| Einrichtungen, das von ein paar freiwilligen Assoziationen und halbstaatlichen Agenturen mit unklaren Kompetenzen ergänzt,
     aber nicht gelenkt wird. Es ist ungegliedert, unübersichtlich, steckt voller Widersprüche und Paradoxien. Zugleich ist es
     erstaunlich stabil und »im Kern gesund«. Es hat keine Steuerungszentrale, sondern besitzt nur ein paar Clearingstellen mit
     beschränktem Wirkungsradius. Es folgt keiner Blaupause, keinem Masterplan oder raffiniertem Design, sondern entwickelt sich
     inkrementalistisch aus einem »System der Bedürfnisse«. Es ist so intransparent, dass man es in einem Organigramm nicht plausibel
     abbilden kann, und hat dennoch alle Rufe nach einer besseren Abstimmung seiner weithin unverbundenen Teile abwehren können.
     Es umfasst private und staatlich getragene Hochschulen, aber der öffentliche Sektor ist in jedem Einzelstaat anders strukturiert
     und wird inzwischen nirgendwo mehr ausschließlich oder auch nur überwiegend aus Steuermitteln finanziert. An Paradoxen mangelt
     es also nicht, und wer bei diesem Wirrwarr die Übersicht verliert, ist nicht selber schuld.
    Doch selbstverständlich existiert ein informelles Kataster für das schwierige Gelände, dessen feine Unterschiede gewisse Ähnlichkeiten
     mit einem Kastenwesen haben. Rankings, Kennzahlen, informelle Erwartungshaltungen und das Wahlverhalten der Studienbewerber
     stützen und reproduzieren diese Orientierungen. Gleichzeitig gibt es
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