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Traumfabrik Harvard

Titel: Traumfabrik Harvard
Autoren: Ulrich Schreiterer
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zeigt das, dass die unteren Segmente des tertiären Bildungssektors
     deutlich schneller gewachsen sind als der universitäre Sektor.
    Selbstredend lassen sich diese Zahlen nur bedingt mit denen für Deutschland vergleichen. Trotzdem zeigt schon ein flüchtiger
     Blick, dass |36| wir es in Amerika mit völlig anderen Größenordnungen zu tun haben: In Deutschland erreichen heute etwa 37 Prozent eines Altersjahrgangs
     irgendeine Art von Hochschulreife. Knapp die Hälfte davon, nämlich etwas mehr als 16 Prozent, schließt ein Studium erfolgreich
     ab. In den USA erwerben dagegen knapp 70 Prozent einer Altergruppe direkt und ohne größere Umwege ein HSD, weitere 15 bis
     17 Prozent holen es irgendwann später nach, so dass unterm Strich je nach Rechnungsweise 85 bis 87 Prozent der Bevölkerung
     die zwölfjährige Schulzeit erfolgreich abschließen. Gut 40 Prozent der Inhaber eines HSD beginnen eine vierjährige
undergraduate education
an einem College, das 27 Prozent einer Alterskohorte mit dem Bachelor in der Tasche verlassen.
    Waren 2005 in Deutschland knapp 2 Millionen Studenten an 339 staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschulen eingeschrieben,
     entsprach das etwa 2,4 Prozent seiner Bevölkerung. Bezieht man in den Vergleich mit den USA nur jene 2.560 Hochschulen ein,
     die mindestens den Bachelorgrad verleihen, sind das insgesamt 10,7 Millionen Studenten und knapp 3,6 Prozent der Bevölkerung.
     Proportional zur Bevölkerung gibt es in Amerika damit gut doppelt so viele Hochschulen und fast anderthalbmal so viele Studenten
     wie in Deutschland:
Think big
!

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American Exceptionalism
    Bislang haben wir bei unserer Suche nach den Besonderheiten der amerikanischen Hochschulwelt drei Strukturmerkmale ins Visier
     genommen: Ihre enorme Vielfalt, den Primat des Marktes und wettbewerblicher Steuerungsprinzipien und drittens ihre große Erfassungsdichte.
     Gibt es noch etwas anderes, was sie auszeichnet und außergewöhnlich macht? 1831 sprach Alexis de Tocqueville in seiner berühmten
     und noch immer aktuellen Studie »Über die Demokratie in Amerika« erstmals von einem
American
exceptionalism.
Seither hat dieser Begriff in Selbst- wie Fremdbeschreibungen der amerikanischen Politik und Gesellschaft einen festen Platz
     gefunden. Amerikaner und ausländische Beobachter, Bewunderer wie Kritiker fasziniert die Vorstellung, dass es mit diesem Land
     und seiner Lebensweise etwas Besonderes auf sich habe. Immer wieder haben sie versucht, dieses gewisse Etwas zu erfassen.
     Manche erkennen es in seinen religiösen Wurzeln, im Anspruch eines auserwählten Volkes, in einer »city on the hill« zu |37| leben. Andere verweisen auf seine unbegrenzten Ressourcen, beispiellosen persönlichen und wirtschaftlichen Freiheiten und
     die in jeder Hinsicht offenen Grenzen, die dem Land einen besonderen Platz in der Welt sichern. Die Überzeugung, dass die
     Vereinigten Staaten ihren Bürgern einzigartige Chancen bieten, Tatendrang und Elan schätzen sowie Fleiß und Leistung belohnen
     durchzieht nicht nur die politische Rhetorik Amerikas, sondern ist tief in allen Poren und Schichten der Gesellschaft verankert.
     Philosophen, Sozialwissenschaftler und Ökonomen haben große Anstrengungen unternommen, ideologische von empirisch belegbaren
     Komponenten des
American exceptionalism
zu trennen und deren merkwürdige, Ausländer nicht selten verstörende Verquickung besser zu verstehen. Die meisten führen das
     Phänomen auf eine besondere Konstellation kultureller, ökonomischer und politischer Kräfte während der Kolonialzeit und der
     republikanischen Gründungsphase zurück: Freiheitsdrang und starke religiöse Bindungen, die sich zu einer besonderen Form von
     Individualismus zusammenfanden; »offene Grenzen«, Abenteurertum und reiche Gelegenheiten zur Landnahme; der allmähliche Aufbau
     einer neuen Nation aus nur locker integrierten Gemeindeverbünden und freiwilligen sozialen Verbänden; und schließlich eine
     starke Prise Gemeinsinn und Strebsamkeit (Tocqueville 1985; Lipset 1963).
    Gibt es ein ähnliches Phänomen auch im Hochschulwesen? Man kann sich dieser Frage auf doppelte Weise nähern. Eine einfache,
     fast intuitive Antwort bietet die äußere Erscheinungsform der US-Hochschulszene: Ihre weithin hingenommene und gelegentlich
     sogar zur Tugend stilisierte Unordnung. Sie ist vor allem deshalb ungewöhnlich, weil sie mit einem merkwürdigen Brückenschlag
     zwischen den weitgehend
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