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Traumfabrik Harvard

Titel: Traumfabrik Harvard
Autoren: Ulrich Schreiterer
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einzige dieser Universitäten versteht sich als staatliche Kaderschmiede
     oder als eine Einrichtung, die staatlichen Aufgaben dient. Während in Deutschland noch bis in die 1980er Jahren hinein etwa
     zwei Drittel der Universitätsabsolventen – als Lehrer, Juristen oder Mediziner – entweder direkt in den öffentlichen Dienst
     gingen oder in Beschäftigungsverhältnisse, die diesem nachgebildet sind – in der Wohlfahrtspflege, bei Verbänden oder im Gesundheitswesen
     –, kam es in Amerika nie zu einer funktionalen Verknüpfung zwischen Staat und Hochschulen über die Ausbildung von Staatsdienern.
     Staatsexamina sind hier unbekannt, und die Idee, dass Universitäten als Institution die staatliche Administration unterstützen
     oder den nationalen Ruhm mehren sollten, hat hier weder zu Zeiten von Alexis de Tocqueville noch danach Fuß fassen können.
     Das mag im Übrigen ein Grund dafür sein, warum Professoren in den USA nie ein ähnlich hohes Sozialprestige genießen konnten
     wie ihre Kollegen aus Mitteleuropa oder Frankreich.
    Weil in den USA niemand eine Generalverantwortung, die
ownership
, für das System der Hochschulbildung besitzt oder reklamieren will, bleibt es der »unsichtbaren Hand« des Marktes vorbehalten,
     Ordnung zu stiften. Einheit, wenn man denn davon reden mag, entsteht als Abfallprodukt des Wettbewerbs der vielen selbständigen
     Colleges und Universitäten um Ressourcen, Studenten, Prestige, öffentliche Aufmerksamkeit und Akzeptanz, nicht aber aus staatlichen
     Prärogativen. Marktgeschehen prägt die Aufgaben, Rechte und Gestalt der verschiedenen Hochschularten und jeder einzelnen Einrichtung;
     für gesetzliche Vorgaben oder verbindliche Rahmenabkommen gibt es weder Raum noch Bedarf. Keine Hochschule muss um staatliche
     Anerkennung nachsuchen, bevor sie ihren Studienbetrieb aufnimmt. Teilweise garantiert die Aufnahme in eine
charter
ihren Rechtsstatus als gemeinnützige Einrichtungen, dank dessen sie keine Grundsteuern (
property taxes)
an die Gemeinde zahlen müssen. Aber daran waren und sind in der Regel keine speziellen Auflagen geknüpft. »University« oder
     »College« sind keine gesetzlich geschützten Titel. Obwohl die Bezeichnungen seit den 1880er Jahren einen bestimmten Qualitätsanspruch
     und Aufgabenzuschnitt signalisieren, kann sich im Prinzip jede Einrichtung so nennen, ohne Sanktionen befürchten zu müssen.
     So kaufte die Firma |30| Bridgepoint Education im Herbst 2007 die private
non-for-profit
* Colorado School of Professional Psychology und taufte ihre Neuerwerbung mit 150 (in Worten: einhundertfünfzig) Studenten
     sogleich in »University of the Rockies« um (
Chronicle,
9.11.2007, A 27).
    Kommt es überhaupt einmal zu staatlichen Interventionen, geht es dabei meistens darum, die schlimmsten Auswüchse des ungezügelten
     Wettbewerbs zu korrigieren und Einrichtungen das Handwerk zu legen, die sich finanzieller Misswirtschaft oder Betrügereien
     größeren Stils schuldig gemacht haben. Staatliche Aufsicht soll für minimalen Verbraucherschutz und die korrekte Abwicklung
     von öffentlichen Zuwendungen an die Hochschulen sorgen. Die Machtverteilung und Betriebslogik des institutionellen Arrangements
     darf sie nicht antasten: Der Staat tritt als Moderator und Sponsor der Hochschulbildung auf, aber weder als Impressario noch
     als Leviathan, der den gnadenlosen Konkurenzkampf der verschiedenen Einrichtungen durch sein mächtiges Wort schlichtet. Was
     der Politik bleibt, sind im Wesentlichen Appelle und leere Drohungen, wie sie im Zusammenhang mit den rasanten Preissteigerungen
     für ein Studium in jüngster Zeit häufiger zu hören sind: Sollten die reichen privaten Colleges ihre Vermögenserträge nicht
     stärker dazu nutzen, die Studiengebühren zu senken, tönt es gelegentlich vom Capitol Hill, werde man ihre steuerlichen Privilegien
     kassieren.
    Trotz einer langen Tradition massiver materieller Unterstützung für öffentliche wie private Hochschulen verfügt der Bund lediglich
     über schwache und zudem meist indirekte Kompetenzen. Seine Rolle beschränkt sich auf finanzielle Hilfen für Studenten aus
     einkommensschwachen Familien sowie die Forschungsförderung. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die bundesstaatliche Studienförderung
     zur wichtigsten Triebfeder für die frühe, rasche und anhaltende Expansion des amerikanischen Hochschulwesens. Ihre bildungs-
     und sozialpolitische Bedeutung ist kaum zu überschätzen. Bis heute bleibt sie eine
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