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Traumfabrik Harvard

Titel: Traumfabrik Harvard
Autoren: Ulrich Schreiterer
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Spiel der Marktkräfte überlassen? Bringt das nicht unkalkulierbare Qualitätsrisiken mit sich und entwertet die Abschlüsse?
     Die Angst vor möglichen negativen Folgen des Wettbewerbs wiegt hier schwerer als die Einsicht, dass auch eine umfassende staatliche
     Regulierung der Hochschulen Schattenseiten hat und oft mir geringerer Flexibilität, Niveaunivellierung und Qualitätseinbußen
     an der Spitze des Systems erkauft wird.
    In den USA setzt man die Akzente völlig anders. Hier ist man geneigt, institutionelle Zersplitterung und die riesige Streubreite
     in den Studienangeboten für unschöne, aber wohl auch unvermeidbare Begleiterscheinungen einer kraftvollen Dynamik und beeindruckenden
     Leistungsstärke (
performance
) des Hochschulsystems zu akzeptieren. Anders als in Europa hat |26| sich die amerikanische Hochschullandschaft ohne jede fürsorgliche Aufsicht des Staates, weitgehend ungeplant, ungeordnet und
     unkoordiniert entwickelt. Chaotisch wirkt sie indes nur auf den ersten Blick. Innerhalb ihrer einzelnen Segmente gelten nämlich
     relativ klare und nachvollziehbare Spielregeln, selbst wenn diese nirgendwo explizit festgehalten oder gar in Gesetzestexten
     niedergelegt sind. Ein System nur dem Namen nach – ein »non system« nennt es Altbach (2001: 17) – folgt das amerikanische
     Hochschulwesen gleichwohl keiner Logik, die seine einzelnen Teile übergreifen und das Verhalten der Akteure steuern würde.
     Einen verbindlichen Bauplan besitzt es nicht, dafür aber eine grenzenlose Offenheit und Inklusionskraft. Vor keinem Anliegen
     und keiner Aufgabe, die man ihnen zutrug, schreckten Hochschulen in Amerika zurück, nur weil sie Angst hatten, sie könnten
     ihrer unwürdig sein. Mit dem sprichwörtlichen amerikanischen Optimismus sahen und sehen sie überall stets mehr Chancen als
     Risiken. Für Dünkel war und ist kein Raum. Mancher hagestolze Ordinarius würde sich verwundert die Augen reiben, wenn er sähe,
     was das Vorlesungsverzeichnis einer so reputierlichen Hochschule wie der Columbia University in New York City zu bieten hat
     – da ist nichts, was es nicht gibt. Falls sich eine Hochschule doch einmal zu schade sein sollte, ein neues Vorhaben aufzugreifen,
     macht es eben eine andere – und im Zweifelsfall gründet man eine neue. Auf diese Weise kamen einerseits immer mehr soziale,
     religiöse und ethnische Gruppen in ihre Reichweite und in den Genuss einer teilweise auf deren speziellen Bedürfnisse zugeschnittenen
     Hochschulausbildung. Andererseits fiel amerikanischen Hochschulen damit auch international eine Vorreiterrolle in den Themen
     und Inhalten von Lehre und Forschung zu – und zwar nicht etwa nur in »nützlichen«, wirtschaftlich interessanten Gebieten wie
     Informatik und Biomedizin, sondern auch in solchen Kultfächern wie Geschlechterstudien,
gay and lesbian studies, postcolonial
studies
oder
film studies
.
    Nicht zuletzt dieser nahezu bedingungslosen Offenheit gegenüber neuen Ideen, gesellschaftlichen Bedürfnissen und politischen
     Anliegen verdanken die Hochschulen in Amerika ihre hohe gesellschaftliche Akzeptanz. Dem System verleiht sie eine irritierende
     Vielgestaltigkeit – und seinen einzelnen Einrichtungen den nötigen Spielraum und die Kraft, sich wechselnden Anforderungen
     zu stellen, ohne auf Traditionen und Gepflogenheiten, Gesetze, Verordnungen oder Genehmigungsvorbehalte Rücksicht nehmen zu
     müssen. Während staatliche Hochschulen in Europa ihr Aufgaben- und Leistungsspektrum nur dann verändern können, wenn sie |27| einen gesetzlichen Auftrag und entsprechende Steuermittel dafür erhalten, müssen amerikanische Hochschulen ihre Leistungsangebote
     auf dem Markt platzieren – und das heißt, so schneidern, dass sie für bestimmte Zielgruppen attraktiv sind. Daher gibt es
     in den USA Hochschulen für jeden Geschmack – eine Handvoll berühmter Elite-Unis mit hoher internationaler Leuchtkraft, Dutzende
     weniger berühmter und dennoch ausgezeichneter Voll-Universitäten, tausende Colleges von sehr unterschiedlicher Größe, Ausrichtung
     und Qualität. Es gibt staatliche und private, regionale und technische Hochschulen, und jede Menge Nischenanbieter. Dazu gehören
     die kleinen, elitären
liberal arts Colleges
* ebenso wie Hochschulen, die sich ausdrücklich, wenn auch nicht ausschließlich an schwarze, römisch-katholische, jüdische
     oder fundamental-christliche Studenten richten, nur Frauen beziehungsweise nur Männer aufnehmen. Dazu gehört
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