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Traumfabrik Harvard

Titel: Traumfabrik Harvard
Autoren: Ulrich Schreiterer
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wissenschaftlichen Disziplinen, Problemen und Methoden
     beschäftigen dürfen und sollen. Dem Fachstudium im engeren Sinne bleiben nur die letzten zwei Studienjahre vorbehalten. Tatsächlich
     haben denn auch nur wenige Studienanfänger eine klare Vorstellung davon, was sie studieren und welchen Beruf oder welches
     Betätigungsfeld sie später einmal anstreben wollen.
    Besucher aus Deutschland erklären sich das in der Regel damit, dass die Colleges Versäumnisse der amerikanischen Schulbildung
     aufholen müssten, um die es bekanntlich sehr schlecht bestellt sei. Anders gesagt: Besäßen amerikanische Studienanfänger (
freshmen
) eine Schulbildung wie deutsche Abiturienten, wäre der Firlefanz von breiter Grundlagenbildung an den Hochschulen unnötig.
     Hier haben wir ein wunderbares Beispiel für das, was Erwing Goffman »framing« nannte. Wahrnehmung, Bewertung und Funktionsweise
     unterschiedlicher Hochschulsysteme folgen distinktiven kulturellen Praktiken und Mustern. Aus amerikanischer Sicht stellen
     sich das Problem und der Auftrag des College nämlich völlig anders dar – wie genau, wird im vierten Kapitel näher zu zeigen
     sein.
    Dabei kann man sich in Amerika eine solche erstaunliche Gelassenheit gegenüber den konkreten beruflichen Verwendungszwecken
     eines College-Studiums nicht etwa deswegen leisten, weil sowieso alle Absolventen weiter |21| studieren: Nur knapp 30 Prozent der Bachelor erwerben einen
professional
degree
, einen Master- oder Doktortitel, manchmal direkt im Anschluss ans College, oft aber auch erst viel später. Für die große
     Mehrzahl amerikanischer Studenten ist die Studentenzeit mit der Abschlussfeier des College vorbei. Nicht nur nominell, sondern
     faktisch bildet der Bachelor in den USA somit den Regelabschluss einer Hochschulausbildung. Trotzdem insistiert niemand darauf,
     dass er berufsqualifizierend zu sein habe. Dieses Paradox wird vor dem Hintergrund von zwei Faktoren verständlich, die ihrerseits
     eine Art amerikanischer Sonderweg darstellen: Da ist, erstens, ein Beschäftigungssystem, in dem berufliche Tätigkeiten und
     Positionen nicht unmittelbar an Bildungspatente geknüpft sind und ein Wechsel zwischen verschiedenen Branchen und Karrierewegen
     an der Tagesordnung ist. Zweitens herrschen über das, was eine
educated person
auszeichnet, unterschiedliche Erwartungen, die in den Inhalten und Formen des Studiums ihren Niederschlag finden.

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Ressourcen und Management
    Dass sie auf einem Kontinent gelandet sind, in dem andere Größenordnungen gelten, wird Besuchern spätestens dann klar, wenn
     es ums Geld geht. Inzwischen hat sich zwar überall herumgesprochen, dass ein Studium in den USA nicht umsonst zu haben ist
     und dass die Budgets der bekannten Forschungsuniversitäten die ihrer europäischen Schwestern weit in den Schatten stellen.
     Viele Hochschulen geben jährlich mehrere Milliarden Dollar aus und besitzen riesige Vermögen (
endowments
*), aus deren reichlich sprudelnden Erträgen sie hervorragende Studienbedingungen und eine erstklassige wissenschaftliche
     Infrastruktur ermöglichen und hochkarätigen Spitzenforschern astronomische Gehälter zahlen können. Der fabelhafte Reichtum
     vieler, wenn auch bei weitem nicht aller privater Hochschulen in den USA ist indes nur die Spitze eines immensen Ressourcenschatzes.
     Unter allen Ländern der OECD wenden die USA mit Abstand den größten Anteil des Bruttoinlandproduktes (GDP) für die tertiäre
     Bildung auf. Lag der Durchschnittswert privater und öffentlicher Ausgaben dafür 2003 in den Mitgliedsländern bei 1,4 Prozent,
     kamen die USA sage und schreibe auf das Doppelte davon – satte 2,8 Prozent, 1,2 Prozent als staatliche und 1,6 Prozent als
     private Mittel. 5 Entfielen auf jeden Studenten in den USA |22| 2002 durchschnittlich 18.500 Dollar, mussten sich deutsche Studenten (unter Berücksichtigung der Kaufkraftparität) mit einem
     guten Drittel dieser Summe begnügen, nämlich 6.600 Dollar pro Kopf. Bereits diese Zahlen deuten darauf hin, dass Studium und
     Hochschulen Amerikanern und Deutschen unterschiedlich viel Wert sind.
    Auch wenn Geld wichtig ist und alle Hochschulen mit harten Bandagen um mehr Ressourcen kämpfen, sind die allermeisten privaten
     Hochschulen Amerikas keine erwerbswirtschaftlichen Betriebe. Zwar ist
higher education
längst ein
business
geworden, in dem sich seit den 1990er Jahren auch etliche börsennotierte Unternehmen tummeln und mit kompletten
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