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Trauma

Trauma

Titel: Trauma
Autoren: D Koontz
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verwandelte.
    Vivacemente hatte nicht geglaubt, er könne sterben – und das hatte offenbar auch niemand von der Truppe geglaubt, die zum Knallen seiner Peitsche tanzte. Der Zusammenbruch der Sowjetunion hatte sie bestimmt nicht annähernd so überrascht wie dies.
    Als sie glaubten, was sie sahen, barsten die Trapezkünstler geradezu vor Energie und Glück. Sie kletterten die Strickleitern und Seile hoch unter das Dach des Zelts, zu ihren Plattformen und Trapezen.
    Während in der Ferne Sirenen aufheulten und Lorrie mir auf die Beine half, wirbelten die Artisten bereits in freudiger Ekstase durch die Luft.

70
    Früher, in einem geschwätzigen Augenblick, habe ich geschrieben, Rache und Gerechtigkeit seien zwei Stränge einer Linie, die so dünn sei wie das Hochseil, auf dem Artisten balancieren müssten, und wenn man sich nicht im Gleichgewicht halten könne, sei man erledigt – und verdammt – , egal, ob man nach links oder rechts herunterfalle. Eine zurückhaltende Reaktion auf das Böse ist nicht moralisch, übertriebene Gewalt aber auch nicht.
    Das einzige moralische Dilemma, das Lorrie aus dem Zirkuszelt mitnahm, bestand in der Frage, ob sie hätte versuchen sollen, Virgilio Vivacemente lediglich außer Gefecht zu setzen, oder ob es gerechtfertigt gewesen war, ihn mit vier gut gezielten Hohlspitzgeschossen in Stücke zu schießen.
    Mit dieser Überlegung marterte Lorrie sich etwa vierundzwanzig Stunden lang, doch noch während Vivacemente in einem Fach des Leichenschauhauses lag, kam sie am Sonntagabend, dem siebzehnten April, bei einer Dessertparade im Haus meiner Eltern zu einer befriedigenden Lösung. Hätte sie, so ihre Argumentation, fünfmal auf den wahnsinnigen Bastard geschossen, darunter viermal statt dreimal, als er schon tot war, dann hätte es sich um eine übertriebene und ungerechtfertigte Reaktion gehandelt. Wie die Dinge jedoch lagen, hegte sie – ebenso wie ich – keine Zweifel, dass sie auf der sicheren Seite war.
    Wenn man sich angesichts eines moralischen Dilemmas bemüht, die eigenen Motive und Handlungen zu analysieren,
kommt man zu einer rascheren und meist auch zufriedenstellenderen Lösung, indem man eine reichliche Menge Zucker zu sich nimmt.
    Was mich anging, so überstand ich das Erlebnis ohne verzwickte moralische Fragen. Die Wahrheit über meinen Stammbaum änderte nichts daran, wer ich geworden war. Ich weigerte mich, darüber nachzugrübeln.
    Außerdem war der fünfte meiner fünf schrecklichen Tage gekommen und gegangen. Ich hatte überlebt. Jedes Mitglied meiner Familie war gesund und lebendig geblieben, außer Oma Rowena, und die war im Schlaf gestorben.
    Auf dem Weg zu diesem sicheren Hafen hatten wir viel gelitten, aber wer leidet nicht im Leben? Wenn der Schmerz verflogen ist, gibt es immer Kuchen.
    Der monatliche Beitrag von Lebensversicherungen wird auf der Grundlage vieler Faktoren berechnet, darunter auch statistische Tabellen. Es gibt eine geheimnisvolle Formel, um die jeweilige Lebenserwartung vorherzusagen, und wenn es die nicht gäbe, dann wären die Versicherungsgesellschaften rasch pleite.
    Ich definiere den Begriff Lebenserwartung allerdings nicht als Länge des Lebens, sondern als dessen Qualität. Mir geht es darum, was ich vom Leben erwarte und wie gut meine Erwartungen erfüllt werden. Von meinem wahren Vater Rudy, von meiner wahren Mutter Maddy, von meiner einmaligen Frau und meinen geliebten Kindern habe ich gelernt, dass diese Erwartungen desto mehr erfüllt werden, je mehr man vom Leben erwartet. Wenn man lacht, verbraucht man sein Lachen nicht, sondern gewinnt mehr davon. Je mehr man liebt, desto mehr wird man geliebt. Je mehr man gibt, desto mehr empfängt man.
    Diese Wahrheit beweist mir das Leben in jeder Stunde und an jedem Tag.

    Überraschungen hält es übrigens auch immer noch bereit:
    Vierzehn Monate nach dem Finale im Zirkuszelt wurde Lorrie schwanger. Man hatte ihr gesagt, das sei unmöglich, und in dieser Hinsicht waren die Ärzte so sicher gewesen, dass wir keine Verhütungsmaßnahmen ergriffen hatten.
    In Anbetracht der schweren Schusswunden, die Lorrie überlebt hatte, und weil sie nur noch eine Niere besaß, riet Dr. Mello Melodeon uns zu einem Abbruch.
    Als wir nach diesen Neuigkeiten abends im Bett lagen, sagte Lorrie: »Fünf werden wir nie haben. Vier sind das Äußerste, was wir uns erhoffen können. Dies ist die letzte Chance. Vielleicht ist es riskant, vielleicht aber auch nicht.«
    »Ich will dich nicht verlieren«,
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