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Trauma

Trauma

Titel: Trauma
Autoren: D Koontz
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erhoben, als hätte er gerade einen Entrechat vollendet.
    Aus der Entfernung von etwa zehn Metern, aus der wir ihn sahen, war er eine blendende Erscheinung mit kühnen Gesichtszügen und einer stolzen römischen Nase. Wie ein Löwe stand er da, mit mächtiger Brust, breiten Schultern, schmalen Hüften und muskulösen Gliedern.
    Obwohl er rabenschwarzes Haar hatte und aussah, als wäre er nicht älter als fünfundvierzig, wusste ich, das musste Virgilio Vivacemente sein, denn er strahlte den Stolz eines Königs, eines Gebieters, eines Patriarchen aus.
    Weil er schon 1974 der glanzvolle Patriarch einer berühmten Zirkusdynastie und Vater mehrerer Kinder gewesen war, darunter seine zweiundzwanzigjährige Tochter Natalie, musste er heute, in dieser Aprilnacht, mindestens siebzig sein. Dennoch sah er nicht nur viel jünger aus, sondern hatte auch gerade bewiesen, wie athletisch und außerordentlich geschmeidig er war.
    Offenbar war das Zirkusleben ein wahrer Jungbrunnen für ihn.
    Nacheinander ließen sich die anderen Artisten aus der Luft ins Netz fallen. Sie schnellten hoch, sprangen zu Boden und stellten sich im Halbkreis hinter Virgilio auf.
    Als alle sich versammelt hatten, reckten sie den rechten Arm hoch in die Luft. Dann senkten sie die Arme theatralisch, deuteten auf mich und Jimmy und riefen im Chor: »Die Flying Vivacementes fliegen heute nur für Sie! «
    Jimmy und ich wollten schon applaudieren, rissen uns jedoch am Riemen und hörten außerdem auf zu grinsen wie kleine Kinder.

    Ob männlich oder weiblich, alle Mitglieder der Truppe sahen blendend aus. Ein acht oder neun Jahre altes Mädchen war dabei und ein zehnjähriger Junge. Sie liefen aus dem Zelt wie Gazellen und machten dabei Sprünge, als wäre die Vorführung hoch in der Luft völlig mühelos gewesen, nicht mehr als ein Kinderspiel.
    Aus dem Künstlereingang, durch den die Truppe verschwunden war, kam ein großer, muskulöser Mann mit einem scharlachroten Mantel über dem Arm. Er ging zu Vivacemente und hielt das Gewand, während der Artist hineinschlüpfte.
    Der Mantelträger hatte ein brutales, narbiges Gesicht. Selbst aus der Entfernung sahen seine Augen so bedrohlich aus wie die einer Viper.
    Obwohl er wieder verschwand und uns mit seinem Herrn und Meister allein ließ, war ich froh, dass wir Pistolen dabeihatten. Leider hatten wir nicht daran gedacht, außerdem noch Kampfhunde mitzubringen.
    Der schwere, aber wunderschön geschnittene Mantel war aus einem kostbaren Stoff, vielleicht aus Kaschmir; er hatte gepolsterte Schultern und breite Aufschläge. Der Trapezkünstler sah darin wie ein Filmstar der dreißiger Jahre aus, als in Hollywood noch Glanz statt Glamour geherrscht hatte.
    Lächelnd trat er auf uns zu, und je näher er kam, desto deutlicher wurde es, dass er Maßnahmen ergriffen hatte, um die Auswirkungen der Zeit aufzuhalten. Das glänzende Schwarz seines Haars war zu tintig, um echt zu sein; es kam aus der Flasche. Den Körper konnte er mit energischem, unermüdlichem Training – und einer täglichen Dosis Steroide – offenbar in Form halten, aber das Alter war ihm von unzähligen Skalpellen aus dem Gesicht operiert worden.
    Wir haben alle schon eine jener unglückseligen Frauen gesehen, die viel zu jung ihr erstes Facelifting hatten und es dann viel
zu häufig wiederholt haben, bis ihre Gesichtshaut mit sechzig Jahren, manchmal auch schon viel früher, so straff ist, als würde sie gleich platzen. Ihre mit Botox behandelte Stirn sieht wie Kunststoff aus. Selbst wenn sie schlafen, können sie die Augen nicht mehr ganz schließen. Ihre Nasenlöcher sind ständig aufgebläht, als schnupperten sie in der Luft nach einem ekligen Geruch, und ihre aufgequollenen Lippen sind zu einem permanent schmollenden, halben Lächeln verzogen, bei dem uns unwillkürlich Jack Nicholson in der Rolle des Jokers in Batman einfällt.
    Abgesehen davon, dass er männlich war, sah Virgilio Vivacemente aus wie eine dieser unglückseligen Frauen.
    Unser Gastgeber kam uns so nahe, dass ich unwillkürlich ein oder zwei Schritte zurückwich, was ihm ein Haifischlächeln entlockte. Offenbar gehörte es zu seiner Manipulationstechnik, die Privatsphäre anderer zu verletzen.
    Seine Stimme war ein Bariton, aber näher am Bass als am Tenor: »Natürlich wisst ihr, wer ich bin.«
    »Mehr oder weniger«, sagte Jimmy.
    Weil der zehnjährige Junge, der die Schachtel geliefert hatte, schreckliche Angst gehabt hatte, verprügelt zu werden, und weil das Geld an und für
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