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Trauma

Trauma

Titel: Trauma
Autoren: D Koontz
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    In der Nacht, in der ich geboren wurde, machte Josef Tock, mein Großvater väterlicherseits, zehn Prophezeiungen, die mein Leben bestimmen sollten. Dann starb er in genau der Minute, in der meine Mutter mich gebar.
    Bis dahin hatte Josef sich nie als Prophet betätigt. Er war Konditor. Er machte Cremegebäck und Zitronentörtchen, keine Weissagungen.
    Manche Leben werden so geradlinig geführt, dass sie sich wie ein eleganter Bogen von dieser Welt in die Ewigkeit hinüber spannen. Ich bin jetzt dreißig Jahre alt und kann nicht genau sagen, wie mein Leben in Zukunft verlaufen wird, aber mein Weg scheint weniger ein geradliniger Bogen als viel mehr eine Zickzacklinie von einer Krise zur anderen zu sein.
    Ich bin ein Tollpatsch, womit ich nicht sagen will, dass ich irgendwie dämlich wäre, bloß dass ich ein bisschen kräftig für meine Größe bin und nicht immer genau weiß, wo meine Füße hin wollen.
    Diese Wahrheit äußere ich nicht mit Selbstverachtung oder auch nur Demut. Meine Tollpatschigkeit macht offenbar einen Teil meines Charmes aus; sie ist eine geradezu vorteilhafte Eigenschaft, wie ihr noch sehen werdet.
    Zweifellos fragt ihr euch jetzt, was ich mit dem Ausdruck »ein bisschen kräftig für meine Größe« sagen will. Eine Autobiographie zu schreiben ist eine kniffligere Aufgabe, als ich anfangs dachte.
    Ich bin nicht so groß, wie manche Leute offenbar meinen. Verglichen
mit einem professionellen Basketballspieler – oder auch bloß dem Mitglied einer Highschool-Mannschaft – bin ich jedenfalls überhaupt nicht besonders groß. Ich bin auch weder pummelig noch so muskulös wie einer von diesen Fitness-Freaks, die ständig Hanteln stemmen. Höchstens ein bisschen stämmig bin ich.
    Trotzdem nennen mich Typen, die größer und schwerer sind als ich, oft »Dicker«. Mein Spitzname in der Schule war »Elch«. Seit meiner Kindheit höre ich Sprüche darüber, dass ich meiner Familie bestimmt die Haare vom Kopf fresse.
    Der Widerspruch zwischen meiner wahren Größe und der Art und Weise, wie viele Leute mich wahrnehmen, hat mich immer verblüfft.
    Meine Frau, die der Dreh- und Angelpunkt meines Lebens ist, behauptet, ich hätte ein Auftreten, das viel eindrucksvoller sei als mein Körperbau. Sie sagt, die Leute würden mich nach dem Eindruck beurteilen, den ich auf sie mache.
    Ich finde diese Vorstellung absurd. Das ist schlichtweg aus Liebe entstandener Bockmist.
    Falls ich manchmal tatsächlich einen besonderen Eindruck auf irgendwelche Leute machen sollte, dann höchstwahrscheinlich, weil ich auf sie drauf geplumpst bin oder ihnen auf die Füße getreten habe.
    In Arizona gibt es einen Punkt in der Landschaft, wo es so aussieht, als würde ein auf den Boden geworfener Ball der Schwerkraft zuwider den Hang hinaufrollen. In Wirklichkeit handelt es sich dabei um eine perspektivische Täuschung, bei der die Elemente der äußerst ungewöhnlichen Landschaft so zusammenwirken, dass das Auge nicht mehr korrekt sehen kann.
    Ich habe den Verdacht, dass es sich bei mir um eine ähnliche Laune der Natur handelt. Vielleicht wird das Licht von mir irgendwie seltsam reflektiert, oder es krümmt sich auf einzigartige Weise um mich herum, sodass ich wuchtiger aussehe, als ich bin.

    In der Nacht, in der ich im Krankenhaus von Snow Village, Colorado, geboren wurde, hat mein Großvater einer Krankenschwester im Voraus mitgeteilt, ich würde eine Länge von einundfünfzig Zentimetern und ein Gewicht von dreitausendneunhundertzwanzig Gramm haben.
    Von dieser Prophezeiung war die Schwester nicht deshalb verblüfft, weil dreitausendneunhundert Gramm besonders viel für ein Neugeborenes wären – viele sind schwerer –, oder weil es sich bei meinem Großvater um einen Konditor handelte, der sich plötzlich als Hellseher gebärdete. Vielmehr hatte er vier Tage vorher einen schweren Schlaganfall bekommen, durch den er rechtsseitig gelähmt war und nicht sprechen konnte; und trotzdem fing er in seinem Bett in der Intensivstation an, mit klarer Stimme – ohne jedes Nuscheln oder Zögern – Weissagungen zu machen.
    Außerdem verkündete er der Schwester, ich würde um exakt zehn Uhr sechsundvierzig morgens geboren werden und an Syndaktylie leiden.
    Syndaktylie ist – wie die Oberschwester meinem Vater erklärte – eine angeborene Fehlbildung, bei der zwei oder mehr Finger oder Zehen zusammengewachsen sind. In schweren Fällen sind die Knochen der nebeneinander liegenden Glieder so miteinander verschmolzen, dass zwei
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