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Mit Herrn Lämmlein ist was los

Mit Herrn Lämmlein ist was los

Titel: Mit Herrn Lämmlein ist was los
Autoren: Tilde Michels
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Ein Verkehrsunfall
     
    An einem trüben Novembermorgen, an dem
sowieso nichts Gescheites passieren konnte, stieß ein Lastwagen mit einem Wagen
der Straßenbahnlinie 6 zusammen.
    Der Lastwagenfahrer fluchte. Seine Kühlerhaube
war verbeult wie ein alter Kochtopf, und in der Straßenbahn saßen die Leute
zwischen Glasscherben und waren alle sehr blaß vor
Schreck.
    „Ist jemand verletzt?“ rief der
Schaffner aufgeregt.
    „ Fiffi ist in
eine Glasscherbe getreten“, jammerte eine alte Dame und betupfte die linke
Hinterpfote ihres Dackels mit dem Taschentuch. Aber der Schaffner winkte
ärgerlich ab. Wer kümmert sich bei einem Zusammenstoß schon um die Pfote eines
Dackels?
    „Ist jemand verletzt?“ rief er wieder.
    Aber der einzige, der außer dem Dackel
verletzt war, hörte die Frage nicht. Er saß nämlich draußen auf dem
Straßenpflaster, hielt sich den Kopf und blutete aus der Nase.
    „Sie, hallo, was ist mit Ihnen?“ Der
Schaffner hatte den Verunglückten endlich entdeckt und sprang aus der Straßenbahn.
    „Er ist von der Plattform geschleudert
worden“, sagte ein Mann. „Mit dem Kopf zuerst aufs Pflaster. Ich hab’s gesehen.“
    „Himmeldonnerwetter“, fluchte der
Lastwagenfahrer durch die Zähne.
    Das war Pech! Eine verbeulte
Kühlerhaube, eingedrückte Scheiben und dazu noch ein Verletzter! Aus der Firma
würde er hinausfliegen, das war sicher. Und dann der Ärger mit der Polizei.
    Da kam der Funkstreifenwagen auch schon
angerast und hinterdrein ein Sanitätsauto.
    Die Funkstreifenmänner hantierten
sofort mit einem langen Meßband herum, prüften die
Bremsspuren und schrieben alles genau in ein Notizbuch.
    Ein Sanitäter legte dem Verletzten
inzwischen einen Verband um den Kopf.
    „Wie heißen Sie?“ fragte er ihn.
    „Lämmlein, Buchhalter Lämmlein“,
antwortete der Mann und fügte im selben Atemzug hinzu: „Ich muß sofort ins
Büro, sonst komme ich zu spät.“
    „Daraus wird heute nichts“, sagte der
Sanitäter. „Wir bringen Sie jetzt erst mal nach Hause. Sie hatten sowieso Glück
bei der Sache. Hätte schlimmer ausgehen können.“
    Damit half er ihm auf und führte ihn
ins Sanitätsauto.
    Herr Lämmlein aber wiederholte immer
leise vor sich hin:
    „Ich bin Buchhalter, ich muß ins Büro,
ich komme ja zu spät.“

Merkwürdige Folgen
     
    Herr Lämmlein war dann aber doch sehr
froh, als er zu Hause in seinem Bett lag. Der Kopf tat ihm weh, und es kamen
ihm so viel wirre Gedanken, daß er sich im Büro
bestimmt dauernd verrechnet hätte.
    Herr Lämmlein hatte keine Frau. Er
lebte ganz allein. Nur die Bedienerin Fanny kam jeden Vormittag und räumte die
Wohnung auf, während er im Büro war.
    Manchmal war ihm schon recht einsam
zumute, und ganz besonders jetzt — mit dem wehen Kopf und den wirren Gedanken
darin.
    „Ich werde schlafen“, sagte Herr
Lämmlein zu sich selbst, machte die Augen fest zu und zog die Bettdecke über
seinen verbundenen Kopf. Und weil er sich doch ein bißchen schwach fühlte nach
dem Unfall und all der Aufregung, schlief er auch gleich ein.
    Er hörte nicht, daß die Bedienerin
Fanny ein paarmal den Kopf durch die Tür steckte, er
hörte die Turmuhr nicht schlagen, und er merkte nicht, daß es allmählich dunkel
wurde.
    Er schlief fest und hatte einen
seltsamen Traum. Er stand im Straßenbahndepot. Es war Mitternacht. Alle
Straßenbahnen waren schon eingefahren. In langen Reihen standen sie auf den
Gleisen und glänzten im Mondlicht. Herr Lämmlein fror. Er wäre gerne in einen
Wagen eingestiegen, aber sie waren alle verschlossen. Da schlenderte der
Nachtwächter daher, der sagte:
    „Die Türen darf ich nicht auf
schließen. Aber gehen Sie doch einfach durch die Wand. Sie können es doch.“
    „Ja, natürlich“, lachte Herr Lämmlein, „daß
ich daran nicht gedacht habe!“
    Und dann spazierte er ohne weiteres
durch die Seitenwand in einen Triebwagen.
    Der Nachtwächter lachte fürchterlich.
Er bekam ein ganz breites Gesicht vor Lachen. Ganz breit und rund und hell wie
der Mond sah es aus. —
    Da wachte Herr Lämmlein auf. Der Mond
schien in sein Zimmer breit und rund und hell wie das Gesicht des Nachtwächters.
    Herr Lämmlein war sehr verwirrt. Was
war wirklich geschehen, und was hatte er nur geträumt — das mit dem Unfall oder
die Sache mit dem Nachtwächter? Er tastete nach seinem Kopf. Der war schwer und
schmerzte, und einen Verband hatte er auch darum. Der Unfall stimmte also.
    Aber dann schielte er unsicher nach dem
runden Gesicht des
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