Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Fenster zum Hof

Das Fenster zum Hof

Titel: Das Fenster zum Hof
Autoren: Cornell Woolrich
Vom Netzwerk:
Das Fenster zum Hof
     
     
    Ihre Namen kannte ich nicht. Auch ihre
Stimmen hatte ich nie gehört. Genaugenommen kannte ich sie nicht einmal vom
Sehen, denn ihre Gesichter waren auf diese Entfernung zu klein, um
unterscheidbare Merkmale erkennen zu lassen. Dennoch konnte ich genau sagen,
wann jeder von ihnen kam und ging, hätte ich einen Stundenplan ihrer
alltäglichen Gewohnheiten und Beschäftigungen aufstellen können. Sie, das waren
die Bewohner der Häuser ringsum, in den Wohnungen mit Fenstern zum Hinterhof.
    Sicher, was ich tat, war wohl schon
eine Art Herumspionieren, konnte sogar als Ausdruck der fieberhaften Neugier
eines Spanners mißverstanden werden. Doch das war es nicht, darum ging es mir
nicht. Der Grund für mein Verhalten lag darin, daß ich zu dieser Zeit in meiner
Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt war. Ich kam gerade vom Fenster bis zum
Bett, vom Bett bis zum Fenster, das war alles. Das Erkerfenster war bei dem
heißen Wetter so ziemlich das beste an meinem Schlafzimmer. Es hatte kein
Fliegengitter davor, deshalb saß ich immer im Dunkeln da, weil sonst sämtliche
Insekten aus der ganzen Umgebung auf mich eingestürzt wären. Ich konnte nicht
schlafen, weil ich es gewohnt war, mich viel zu bewegen. Die Gewohnheit, zur
Bekämpfung der Langeweile Bücher zu lesen, hatte ich nie angenommen, diese
Möglichkeit entfiel also. Was hätte ich denn tun sollen, einfach nur dasitzen,
die Augen fest geschlossen?
    Ich will nur ein paar von ihnen
herausgreifen: Genau gegenüber, so daß ich direkten Einblick hatte, wohnte ein
hektisches junges Pärchen, beide noch Teenager, gerade frisch verheiratet. Sie
wären gestorben, hätten sie auch nur einen Abend zu Hause bleiben müssen. Wohin
auch immer sie gehen mochten, sie hatten es stets so eilig, wegzukommen, daß
sie nie daran dachten, das Licht abzuschalten. Nicht ein einziges Mal in der
Zeit, die ich sie beobachtete, glaube ich. Aber ganz und gar vergessen haben
sie’s auch nie. Wie Sie sehen werden, gewöhnte ich mir später an, in solchen
Fällen von Spätzündung zu sprechen. Er kam stets nach ein paar Minuten wie ein
Verrückter wieder angerannt, wahrscheinlich waren sie schon drunten auf der
Straße gewesen, raste durch die Wohnung und knipste die Lichtschalter aus.
Dann, wenn er im Dunkeln wieder hinaus wollte, stolperte er jedesmal über
irgend etwas. Ich konnte mir ein leises Lachen über die beiden nicht verkneifen.
    Ein Haus weiter wurden die Fenster für
mich, wegen des schrägen Blickwinkels, bereits etwas schmäler. Hinter einem von
ihnen ging das Licht ebenfalls bereits am frühen Abend aus. Irgend etwas war
daran, was mich ein wenig traurig stimmte. In der Wohnung lebte eine Frau mit
ihrem Kind, eine junge Witwe nehme ich an. Ich sah, wie sie das Kind ins Bett
legte, sich dann darüberbeugte und ihrer Kleinen wehmütig einen Kuß auf die
Stirn drückte. Dann schirmte sie das Licht so ab, daß das Kind schlafen konnte,
setzte sich und schminkte sich die Lippen und die Augen. Dann ging sie weg. Sie
kam immer erst kurz vor Morgengrauen zurück. Einmal war ich noch auf und
schaute hinüber, und sie saß reglos da, den Kopf in den Armen vergraben. Das
hatte etwas an sich, was mich ein wenig traurig stimmte.
    Noch ein Haus weiter konnte ich nicht
mehr hineinsehen, da waren die Fenster wegen der ungünstigen Perspektive nur
noch Schlitze, wie die Schießscharten in einer mittelalterlichen Burgmauer.
Damit wären wir bei dem Haus am Ende des Hofes angelangt. Hier erhielt ich
wieder frontalen Einblick, denn es stand im rechten Winkel zu allen anderen,
auch zu meinem eigenen; es schloß den Innenhof ab, dem sie alle den Rücken
zuwandten. Von dem runden Vorsprung meines Erkerfensters konnte ich so
ungehindert in es hineinsehen wie in ein Puppenhaus ohne Rückwand. Und größer
wirkte es auf die Entfernung auch nicht.
    Es war ein Apartmenthaus. Anders als
alle anderen in der Reihe war es bereits zu diesem Zweck erbaut und nicht erst
nachträglich in kleine möblierte Wohnungen aufgeteilt worden. Es unterschied
sich von den anderen Häusern, überragte sie um zwei Stockwerke und hatte
Feuertreppen an der Rückseite. Doch es war alt, hatte offensichtlich keinen
Gewinn abgeworfen. Es wurde gerade renoviert. Anstatt das ganze Haus zu räumen,
solange daran gearbeitet wurde, renovierten sie eine Wohnung nach der anderen,
um so wenig Mieteinnahmen wie möglich zu verlieren.
Von den sechs Wohnungen zum Hof, die sich meinem Blick darboten, war die
oberste
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher